Discussion:
Was ist eine historische Tatsache?
(zu alt für eine Antwort)
Heinz Schusterhennes
2009-02-15 07:31:03 UTC
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Die Geschichte ist ein breiter Strom von Ereignissen.
Historiker nehmen diese Ereignisse, um Geschichten zu erzählen. Das ist
ihr Job, sonst nichts.
Sie wählen aus dem bereiten Strom der Ereignisse einzelne aus, gewichten
sie, ordnen sie, stellen sie in einen Kontext - und zwar gemäß dem Plot
und der Intention ihrer jeweiligen Story.
Es gibt "die" historische Tatsache also gar nicht. Tatsachen sind in der
Geschichtswissenschaft immer Deutungen im Sinne eines erzählerischen
Anliegens.

Im Übrigen verhalten sich Menschen im Allgemeinen so wie Historiker. Auch
sie erzählen fortwährend Geschichten. Mit diesen Geschichten versuchen
sie, ihrem Leben einen Sinn zu geben und ihre Identität, ihr Selbst zu
bestimmen - und dies stets im Hinblick auf moralische Maßstäbe. Moralität
ist hier im weiteren Sinne gemeint, in den Worten Charles Taylors: Nicht
nur im Sinne des richtigen Handelns, sondern des guten Lebens.

Nimmt man nun das Allgemeinmenschliche und das Historiker-Spezifische
zusammen, so ergibt sich, dass "historische Tatsachen" stets
identitätsstiftende Deutungen sind. Der Historiker ist ein kollektiver
Identitätsstifter, der den Strom der Ereignisse im Sinne seiner Gruppe
(Partei, Nation etc.) interpretiert.

Die Rede, dass Geschichtsschreibung immer die Geschichtsschreibung der
Sieger sei, greift sicher zu kurz - dass aber im Großen und Ganzen die
"historischen Tatsachen" die Position des Siegers in ein vorteilhafteres
(auch und vor allem moralisch vorteilhafteres) Licht tauchen als jene des
Verlierers, dürfte angesichts der allgemeinmenschlichen Tendenzen des
Geschichtenerzählens wohl evident sein.

Gruß
Heinz

PS: Ja, selbstverständlich, Diese Überlegungen gelten ausnahmslos für /
jede/ "historische Tatsache".
PPS: Diktaturen neigen dazu, ihre Geschichtsschreibung für sakrosankt zu
erklären. Wer von der offiziellen Version abweicht, diese auch zur
bezweifelt, läuft Gefahr, ins Gefängnis geworfen oder gar mit dem Tode
bestraft zu werden.
Marve Enberg
2009-02-15 08:40:02 UTC
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Eine histroische Tatsache ist eine, aus der sich eine Prognose ableiten
laesst. Etwa sage ich, indem ich noch nie in meinem Leben in Aachen war,
voraus, und dies aufgrund meine historischen Kenntnisse, dort auf die
Pfalzkapelle Karls des Grossen zu stossen. Wuerde sich herausstellen, bei
meinem ersten Aachenbesuch, dass es dort keinen Dom gibt, muesste ich mein
Geschichtsbild revidieren...
Heinz Schusterhennes
2009-02-15 08:49:15 UTC
Permalink
Post by Marve Enberg
Eine histroische Tatsache ist eine, aus der sich eine Prognose ableiten
laesst. Etwa sage ich, indem ich noch nie in meinem Leben in Aachen war,
voraus, und dies aufgrund meine historischen Kenntnisse, dort auf die
Pfalzkapelle Karls des Grossen zu stossen. Wuerde sich herausstellen,
bei meinem ersten Aachenbesuch, dass es dort keinen Dom gibt, muesste
ich mein Geschichtsbild revidieren...
Diese Definition mag für eine Teilmenge "historischer Tatsachen"
zutreffen, die sich in dieser Weise verifizieren lassen. Für den
überwiegenden Teil der "historischen Tatsachen" dürfte dieser Zugang aber
verschlossen sein - solange zumindest, bis eine Zeitmaschine erfunden
wurde, mit dem man in die Vergangenheit reisen kann.

Heinz
--
/home/gresch/Documents/sig.txt
Ole Streicher
2009-02-15 09:02:59 UTC
Permalink
Hallo Heinz,
Post by Heinz Schusterhennes
Diese Definition mag für eine Teilmenge "historischer Tatsachen"
zutreffen, die sich in dieser Weise verifizieren lassen.
Wie sollte "Wissenschaft" denn funktionieren, wenn sie nicht
verifizierbare Aussagen (also Vorhersagen) produziert? Wenn man
aufgrund zweier konkurrierender wissenschaftlicher Theorien zu dem
Ergebnis kommt, dass im Falle der Theorie A in Aachen eine
Pfalzkapelle ist, im Falle der Theorie B jedoch nicht, dann ist es das
einfachste, mal nachzuschauen.

Ich wüsste keine andere Möglichkeit, zwischen konkurrierenden
wissenschaftlichen Theorien zu unterscheiden.

Und ich würde als "historische Tatsache" einfach jene Theorie
bezeichnen, die aufgrund genau solcher Verifikationen bisher gut
bestätigt ist.

Viele Grüße

Ole
Heinz Schusterhennes
2009-02-15 09:37:38 UTC
Permalink
Post by Ole Streicher
Hallo Heinz,
Post by Heinz Schusterhennes
Diese Definition mag für eine Teilmenge "historischer Tatsachen"
zutreffen, die sich in dieser Weise verifizieren lassen.
Wie sollte "Wissenschaft" denn funktionieren, wenn sie nicht
verifizierbare Aussagen (also Vorhersagen) produziert? Wenn man aufgrund
zweier konkurrierender wissenschaftlicher Theorien zu dem Ergebnis
kommt, dass im Falle der Theorie A in Aachen eine Pfalzkapelle ist, im
Falle der Theorie B jedoch nicht, dann ist es das einfachste, mal
nachzuschauen.
Ich wüsste keine andere Möglichkeit, zwischen konkurrierenden
wissenschaftlichen Theorien zu unterscheiden.
Und ich würde als "historische Tatsache" einfach jene Theorie
bezeichnen, die aufgrund genau solcher Verifikationen bisher gut
bestätigt ist.
So, Ole, kann historische Wissenschaft überhaupt nicht funktionieren,
nämlich durch Augenschein.

Nehmen wir einmal an, die Hypothese laute, es habe im Mittelalter ein
Vertrag existiert zwischen den Städten X und Y. Nun findet sich in einem
Archiv ein entsprechender Vertrag mit dem Siegel des Kaisers. Die
Vertreter der Hypothese jubeln und sprechen von einer eindrucksvollen
Verifikation.

Doch sie haben nicht mit ihren Kontrahenten gerechnet. Diese ziehen die
Augenbrauen hoch, blicken streng, dann grinsen sie und sagen: "Schau dir
einmal das Siegel genauer an. Das soll der Kaiser sein? Das Siegel ist
das Bildnis des Kaisers. Der aber trägt einen Bart. In jener Zeit trug
der Kaiser aber noch keinen Bart. Er ließ ihn sich erst kurz vor seinem
Tode wachsen, also zwanzig Jahre später."

Und schon ist der Streit um des Kaisers Bart in vollem Gange.

Die einen deuten den Bart nunmehr als Symbol patriarchalischer Würde. Der
Bart dürfe nicht naturalistisch gedeutet werden. Es gehe gar nicht um die
Faktizität des Barttragens. Die anderen meinen, das Bildnis des Siegels
stelle gar nicht den Kaiser dar, sondern dessen Vater. Der aber sei schon
als Jüngling bärtig gewesen und mit Rauschebart gestorben.

Und so geht das munter weiter.

Wer sich schon einmal mit mittelalterlicher Geschichte beschäftigt hat,
weiß, dass damals das Fälschen von Dokumenten gang und gäbe war - weil
schwer überprüfbar.

Der Streit und des Kaisers Bart steht hier nur für eine Vielzahl
ähnlicher Fälle. Sogar in der neueren Geschichte ist die Dokumentenlage
keineswegs so bestellt, dass Verifikationen ohne Interpretationen, ohne
Deutungen überhaupt möglich wären.

Deutungen aber hängen nicht nur von Theorien ab, die man eventuell noch
einer Falsifikation unterwerfen könnte.

Sie werden auch durch (moralische) Bewertungen bestimmt, die gar nicht
wahrheitsfähig sind im Sinne eines naturalistischen Zugriffs auf
menschliche Geschichte und menschliches Handeln.

Ob ein Faktum überhaupt als Verifikation eines angeblichen historischen
Ereignisses gewertet werden kann, lässt sich in der Geschichtsforschung
in der Regel nicht zweifelsfrei klären.

Wenn von "unbezweifelbaren historischen Tatsachen" die Rede ist, dann
höre ich stets den Klang der Ideologie. Ideologie dekretiert Wahrheit,
indem sie Zweifel an Verifikationen diskreditiert.

Natürlich sind Quellen wichtig. Man darf sich nur nicht einbilden, dass
diese in den Wissenschaften vom Menschen dieselbe Bedeutung haben könnten
wie die Ergebnisse eines naturwissenschaftlichen Experiments, das sich
mit nicht-menschlichen Objekten beschäftigt. Es ist eine transzendentale
Voraussetzung unseres Urteils über menschliches Handeln, dass wir dabei
niemals nur die schiere Faktizität isoliert betrachten, sondern diese
immer schon vor einem Sinnhorizont interpretieren, der sich nicht
empirisch herleiten lässt.

Gruß
Heinz
Ole Streicher
2009-02-15 10:12:24 UTC
Permalink
Hallo Heinz,
Post by Heinz Schusterhennes
Nehmen wir einmal an, die Hypothese laute, es habe im Mittelalter
ein Vertrag existiert zwischen den Städten X und Y. Nun findet sich
in einem Archiv ein entsprechender Vertrag mit dem Siegel des
Kaisers. Die Vertreter der Hypothese jubeln und sprechen von einer
eindrucksvollen Verifikation.
Eindrucksvolle Verifikationen sind nur solche, die den folgenden
Kritiken auch standhalten. Wenn ich mir deinen folgenden Text
anschaue, dann würde ich den Vertrag nicht für so eindrucksvoll
halten, zumindest wenn man nicht auch genau vorhergesagt (!!!) hatte,
wo dieses Dokument auftaucht und welche weiteren Eigenschaften es
hat. Möglichst auch so, dass sie nicht ein damaliger Fälscher hätte
wissen können.
Post by Heinz Schusterhennes
Deutungen aber hängen nicht nur von Theorien ab, die man eventuell
noch einer Falsifikation unterwerfen könnte.
Du hast mich auch nicht ganz richtig verstanden: letztlich muss man
Vorhersagen machen und sie *vorher* (also bevor man sie überprüft)
diskutieren. Danach schaut man nur noch nach. Letztlich kann eine
sinnvolle wissenschaftliche Diskussion nur darin bestehen, dass
Vertreter konkurierender Theorien gemeinsam zu einer Fragestellung
kommen, bei der sie verschiedene Vorhersagen machen und die sie dann
überprüfen.

In Deinem Beispiel hätte ich erwartet, dass die Gegner der Hypothese
schon *bevor* der Vertrag gefunden wurde, die Authentizität eines
solchen Vertrages bezweifeln, und dass sich Gegner und Anhänger auf
einen gemeinsamen Lackmustest einigen.

Wenn jeder Anhänger jeden Fakt "irgendwie" in seine Hypothese
einzubauen vermag: welchen Anspruch hat dann Geschichtswissenschaft
überhaupt? Wozu braucht sie überhaupt Fakten?
Post by Heinz Schusterhennes
Sie werden auch durch (moralische) Bewertungen bestimmt, die gar nicht
wahrheitsfähig sind im Sinne eines naturalistischen Zugriffs auf
menschliche Geschichte und menschliches Handeln.
Ist das dann überhaupt noch Geschichts-"Wissenschaft"?
Post by Heinz Schusterhennes
Ob ein Faktum überhaupt als Verifikation eines angeblichen historischen
Ereignisses gewertet werden kann, lässt sich in der Geschichtsforschung
in der Regel nicht zweifelsfrei klären.
Das ist doch so wie in jeder Wissenschaft, dass man letztlich Theorien
nie "zweifelsfrei" prüfen kann.
Post by Heinz Schusterhennes
Wenn von "unbezweifelbaren historischen Tatsachen" die Rede ist, dann
höre ich stets den Klang der Ideologie.
"Unbezweifelbar" wohl nicht in einem absoluten Sinne gemeint. Es gibt
auch "unbezweifelbare" physikalische Tatsachen, aber trotzdem ist
jedem natürlich klar, dass diese auf Theorien fußen, die hinterfragbar
sind.

Wenn man mit dem Wort nicht gerade inflationär umgeht, ist das doch
unproblematisch. "Unbezweifelbar" wurde schließlich am 9.11.89 die
Mauer für die Mehrzahl der DDR-Bürger geöffnet. Das hat nichts mit
Ideologie zu tun, lässt sich sicher (trotz des Wortes) auch
anzweifeln, es ist nur nicht gerade vernünftig, das bei der
gegenwärtigen Faktenlage zu tun.

Viele Grüße

Ole
Heinz Schusterhennes
2009-02-15 10:29:06 UTC
Permalink
Am Sun, 15 Feb 2009 11:12:24 +0100 schrieb Ole Streicher:

...
Post by Ole Streicher
Wenn man mit dem Wort nicht gerade inflationär umgeht, ist das doch
unproblematisch. "Unbezweifelbar" wurde schließlich am 9.11.89 die Mauer
für die Mehrzahl der DDR-Bürger geöffnet. Das hat nichts mit Ideologie
zu tun, lässt sich sicher (trotz des Wortes) auch anzweifeln, es ist nur
nicht gerade vernünftig, das bei der gegenwärtigen Faktenlage zu tun.
Nun, Ole, die Maueröffnung bezweifele ich nicht - ob dieses Beispiel
allerdings paradigmatisch ist für die Problematik der
Geschichtsforschung, wage ich zu bezweifeln. Wenn du nach dem Datum des
ersten Spatenstichs beim Bau der Chinesischen Mauer gefragt hättest....

Es geht doch wohl um etwas anderes. Was ist denn sonst noch am 9. 11. 89
geschehen?

Gruß
Heinz
Ole Streicher
2009-02-15 10:42:51 UTC
Permalink
Hallo Heinz,
Post by Heinz Schusterhennes
Nun, Ole, die Maueröffnung bezweifele ich nicht - ob dieses Beispiel
allerdings paradigmatisch ist für die Problematik der
Geschichtsforschung, wage ich zu bezweifeln.
Ich bin nunmal kein Geschichtsforscher, wüsste aber auch nicht, warum
man dort /solche/ "unbezweifelbaren" Tatsachen nicht auch so nennen
sollte.
Post by Heinz Schusterhennes
Wenn du nach dem Datum des ersten Spatenstichs beim Bau der
Chinesischen Mauer gefragt hättest....
*Das* eine "unbezweifelbare" Tatsache zu nennen, ist schon ziemlich
gewagt. Was mich daran nur verwundert: normalerweise sollte man doch
als Wissenschaftler gerade den eigenen Theorien gegenüber sehr
kritisch eingestellt sein und sehr genau ihre Grenzen kennen.

Um bei Deinem Beispiel des Kaisers Bart zu bleiben: Der Zweifel an der
Echtheit des Dokuments ist ja unabhängig von der Ausgangsthese; auch
dem Befürworter der Hypothese des Vertrages zwischen X und Y müssen ja
eingestehen, dass sie diese Zweifel nicht völlig ausräumen können. Und
damit ist der gefundene Vertrag auch für die Befürworter der Hypothese
kein "unzweifelhafter Beweis" mehr für die Existenz eines solchen
Vertrages, sondern lediglich ein Hinweis, dessen Wert an der
Untersuchung der Echtheit hängt.

Viele Grüße

Ole
Heinz Schusterhennes
2009-02-15 11:16:22 UTC
Permalink
Am Sun, 15 Feb 2009 11:42:51 +0100 schrieb Ole Streicher:

...
Post by Ole Streicher
*Das* eine "unbezweifelbare" Tatsache zu nennen, ist schon ziemlich
gewagt. Was mich daran nur verwundert: normalerweise sollte man doch als
Wissenschaftler gerade den eigenen Theorien gegenüber sehr kritisch
eingestellt sein und sehr genau ihre Grenzen kennen.
Hallo Ole,

bei allen halbwegs komplexen historischen Sachverhalten - und nicht nur
jenen, die Jahrhunderte zurückliegen - gibt es keine Theorien, die
unbezweifelbar wahr wären. Es ist umgekehrt sogar so, dass die
Geschichtserzählungen immer parteilich sind und sein müssen (dies
entspricht ihrer identitätsstiftenden Funktion) und dass sie deshalb auch
zum Parteienstreit, also zur Diskussion herausfordern. Der Streit um des
Kaisers Bart ist das Wesen der Geschichtswissenschaft. Der Bart des
Kaisers - die Dokumente, die Quellen - sind dabei aber kein
naturwissenschaftliches Faktum, sondern sie sind eher Kristallisationen
eines geregelten Umgangs der Parteien miteinander. Der gemeinsame Sinn
dieser Objekte wird durch die Spielregeln bestimmt, denen sich die
Spieler des geschichtswissenschaftlichen Spiels unterworfen haben. Werden
diese missachtet, so handelt es sich nicht mehr um einen
geschichtswissenschaftlich inszenierten Parteienstreit. So wie beim
Schachspiel: Wenn auch nur eine Partei die Spielregeln nicht mehr
anerkennt, dann kann man mit den Figuren machen, was man will.

Gruß
Heinz
Ole Streicher
2009-02-15 12:05:38 UTC
Permalink
Hallo Heinz,
Post by Ole Streicher
*Das* eine "unbezweifelbare" Tatsache zu nennen, ist schon ziemlich
gewagt. Was mich daran nur verwundert: normalerweise sollte man doch als
Wissenschaftler gerade den eigenen Theorien gegenüber sehr kritisch
eingestellt sein und sehr genau ihre Grenzen kennen.
Es ist umgekehrt sogar so, dass die Geschichtserzählungen immer
parteilich sind und sein müssen (dies entspricht ihrer
identitätsstiftenden Funktion) und dass sie deshalb auch zum
Parteienstreit, also zur Diskussion herausfordern.
Das würde ich dann aber nicht Wissenschaft nennen, sondern
"Geschichten erzählen".
Der Streit um des Kaisers Bart ist das Wesen der Geschichtswissenschaft.
Nur wenn man einfach da endet "ich glaube nicht, dass das Dokument
echt ist, weil meine Parteilichkeit mir das gebietet" bzw. der dazu
konträre Standpunkt, würde ich das nicht "Streit" nennen. Woher sollte
jemand, der das "von außen" betrachtet (ein Schüler oder ein Student)
denn beurteilen, welcher Glaube der richtige ist?
Der Bart des Kaisers - die Dokumente, die Quellen - sind dabei aber
kein naturwissenschaftliches Faktum, sondern sie sind eher
Kristallisationen eines geregelten Umgangs der Parteien
miteinander.
Das ist es ja auch in der Naturwissenschaft: es gibt allgemeine
Regeln, wenn eine Beobachtung allgemein akzeptiert wird und wann ein
Experiment Nachholebedarf hat.
Der gemeinsame Sinn dieser Objekte wird durch die Spielregeln
bestimmt, denen sich die Spieler des geschichtswissenschaftlichen
Spiels unterworfen haben.
... aber die sollten doch auch regeln, wann eine Fundsache (ein
Vertrag) als akzeptiert gilt und welche venünftigen Zweifel man daran
haben kann? Und wenn es vernünftige Zweifel gibt (die von dir
genannten sind wohl auf jeden Fall vernünftig), dass man dann auch
akzeptiert, dass diese bestehen?
Werden diese missachtet, so handelt es sich nicht mehr um einen
geschichtswissenschaftlich inszenierten Parteienstreit.
Eine der Regeln im wissenschaftlichen Streit ist m.E., dass jede
Partei ihre eigenen Überzeugungen mit mindestens der gleichen Distanz
und Kritik betrachtet wie die gegnerische.

Eine andere Regel ist, dass man die Grenzen der eigenen Theorien genau
benennen kann.
Mirco Stockhausen
2009-02-27 15:36:48 UTC
Permalink
Post by Ole Streicher
Hallo Heinz,
Post by Ole Streicher
*Das* eine "unbezweifelbare" Tatsache zu nennen, ist schon ziemlich
gewagt. Was mich daran nur verwundert: normalerweise sollte man doch als
Wissenschaftler gerade den eigenen Theorien gegenüber sehr kritisch
eingestellt sein und sehr genau ihre Grenzen kennen.
Es ist umgekehrt sogar so, dass die Geschichtserzählungen immer
parteilich sind und sein müssen (dies entspricht ihrer
identitätsstiftenden Funktion) und dass sie deshalb auch zum
Parteienstreit, also zur Diskussion herausfordern.
Das würde ich dann aber nicht Wissenschaft nennen, sondern
"Geschichten erzählen".
Der Streit um des Kaisers Bart ist das Wesen der Geschichtswissenschaft.
Nur wenn man einfach da endet "ich glaube nicht, dass das Dokument
echt ist, weil meine Parteilichkeit mir das gebietet" bzw. der dazu
konträre Standpunkt, würde ich das nicht "Streit" nennen. Woher sollte
jemand, der das "von außen" betrachtet (ein Schüler oder ein Student)
denn beurteilen, welcher Glaube der richtige ist?
Der Bart des Kaisers - die Dokumente, die Quellen - sind dabei aber
kein naturwissenschaftliches Faktum, sondern sie sind eher
Kristallisationen eines geregelten Umgangs der Parteien
miteinander.
Das ist es ja auch in der Naturwissenschaft: es gibt allgemeine
Regeln, wenn eine Beobachtung allgemein akzeptiert wird und wann ein
Experiment Nachholebedarf hat.
Der gemeinsame Sinn dieser Objekte wird durch die Spielregeln
bestimmt, denen sich die Spieler des geschichtswissenschaftlichen
Spiels unterworfen haben.
... aber die sollten doch auch regeln, wann eine Fundsache (ein
Vertrag) als akzeptiert gilt und welche venünftigen Zweifel man daran
haben kann? Und wenn es vernünftige Zweifel gibt (die von dir
genannten sind wohl auf jeden Fall vernünftig), dass man dann auch
akzeptiert, dass diese bestehen?
Werden diese missachtet, so handelt es sich nicht mehr um einen
geschichtswissenschaftlich inszenierten Parteienstreit.
Eine der Regeln im wissenschaftlichen Streit ist m.E., dass jede
Partei ihre eigenen Überzeugungen mit mindestens der gleichen Distanz
und Kritik betrachtet wie die gegnerische.
Eine andere Regel ist, dass man die Grenzen der eigenen Theorien genau
benennen kann.
Aufmerksam durch die Positionen gelesen scheint mir in dieser Frage
exemplarisch ein Zerwürfnis gegenwärtiger Wissenschaftsgenese auf.
Vertritt der eine die einfache Unterscheidung Subjekt-Objekt, ist dem
anderen diese Unterscheidung nicht hinreichend insofern, als die
Unterscheidung Subjekt-Objekt durch ein Subjekt getroffen wurde.

Abstrahiert die eine Position also die Positionierung, so hält sich die
andere daran, dass eine jede, auch wissenschaftliche, Position erst
eingenommen werden muss, also Ausdruck von Bewußtsein ist.

Mit Hegel würde sich eine historische Wissenschaft, die sich bloß als
eine beobachtende weiss, im einfachen Modus der sinnlichen Gewissheit
befinden. Sie nähme also von sich an, einfach hinsehen zu können, ohne
sich dabei etwas zu denken (sinnlich! gewiss). Dass sich jedes Hinsehen,
vornehmlich im wissenschaftlichen Sinne, jedoch nie als ein bloßes Sehen
beschreiben läßt, zeigt dieser Disput doch recht eindrücklich.

Was geschieht in einer historischen Tat-sache? Vermeintlich unterzugehen
scheint an der Subjekt-Objekt Relation, dass das Objekt immer durch das
Subjekt ist, nicht umgekehrt. Und nicht zufällig nennt sich eine
historische Tatsache, Tat-Sache. Ein historischer Kontext gibt sich uns
nicht causa sui, vielmehr ist er durch den Historiker, der sich, wie
vormals eindrucksvoll beschrieben, in des Bewußtsein des Historischen
(Eine Gegenwart, die sich Zeit als Vergangenheit bewußt macht) gibt, aus
sich die historische Tat-Sache kreiert, nicht erfindet! Das Historische
ist, nur weil es dem Bewußtsein des Historikers angehört, kein
Phantasma, vielmehr ist es notwendiger Ausdruck einer varianten
Ausfaltung von Bewußtsein in der Zeit. Das Geschehen eines historischen
Datums ist das Geschehen eines subjektiven Ergreifens von Gegenständen
(historischen Artefakten) für ein Bewußtsein dieser. Abstrahieren wir in
der Methode vom Bewußtsein der Methode, ist der Gegenstand historischer
Forschung, so wie vormals durch die Gegenposition geschildert, bloß ein
experimenteller, naturwissenschaftlicher, der sich beobachtend als
Beobachter tilgt, um die Reinheit der Methode dahingehend zu
hypostasieren, zu behaupten, darin eine objektive (weil subjektiv
ge-reinigte) Wahrheit aufgesucht zu haben. Und genau dies ist Usus der
historischen Wissenschaften heute. In ihren Methoden der Statistik, der
abstrakten Quellenforschung meinen sie, den Naturwissenschaften analog,
reine Wissenschaft zu betreiben, die den Wissenschaftler als
Strukturmerkmal weder nennt, noch nötigt.

Welche Wahrheit hat Historie? Nur eine relative auf das diese jeweils
behauptende Subjekt verweisende und damit die Negierung eines
überindividuellen Wahrheitswertes? Auch hier liefern obige Anmerkungen
schon genügend Hinweise. Einigen sich Subjekte auf eine Wahrheit, ist es
eine solche. Einigen sich Historiker darauf, den Bart des Kaisers als
Verifikation der Echtheit der Urkunde anzunehmen, so kann man von einer
historischen Wahrheit sprechen, ohne damit begründeten Zweifel
auszuschließen. Letztlich ist so auch jedes Ergebnis
naturwissenschaftlicher Forschung anzusehen, mit dem Unterschiede
jedoch, dass diese Einigung mit Macht vertreten wird, und
Wahrheitsfähigkeit am Erfolg der Methode gemessen wird. Die demnach
empirisch gesicherte Wahrheit genügte also bloß dem durchgesetzten
Methodenbegriff, ist also eine Wahrheit der Methode, nicht die des
vorgestellten Gegenstandes der Betrachtung. Dazu wurde Historie im
Wissenschaftsbetrieb. Sie sucht sich bewußt (nicht als Bewußtsein) aus
dem Kanon der Geisteswissenschaften auszusondern, um ihre unbedingte
Gültigkeit an die unzweifelhafte (eigentlich: unBEzweifelte) Gültigkeit
der Naturwissenschaften anzugliedern. Und dies ist weniger ein Signum
einer Wissenschaft an sich, vielmehr eines derer, die sie betreiben.

Geneigt,
Mirco Stockhausen
Karl-Ludwig Diehl
2009-02-28 14:48:35 UTC
Permalink
Post by Mirco Stockhausen
Was geschieht in einer historischen Tat-sache? Vermeintlich unterzugehen
scheint an der Subjekt-Objekt Relation, dass das Objekt immer durch das
Subjekt ist, nicht umgekehrt. Und nicht zufällig nennt sich eine
historische Tatsache, Tat-Sache. Ein historischer Kontext gibt sich uns
nicht causa sui, vielmehr ist er durch den Historiker, der sich, wie
vormals eindrucksvoll beschrieben, in des Bewußtsein des Historischen
(Eine Gegenwart, die sich Zeit als Vergangenheit bewußt macht) gibt, aus
sich die historische Tat-Sache kreiert, nicht erfindet! Das Historische
ist, nur weil es dem Bewußtsein des Historikers angehört, kein
Phantasma, vielmehr ist es notwendiger Ausdruck einer varianten
Ausfaltung von Bewußtsein in der Zeit.
Interessant zu lesen. Ich hatte mir gerade zu dem Thema "historische
Tatsache" einen Text zusammengefaßt. Dort kommt das Thema vor:
------------------------------------------------------
"Bei alledem bleibt
jedoch ein denkbar weit gefaßter Begriff der "Tatsache"
notwendig. Wie sagte Seiffert eingangs:

"Wir können uns nicht einfach ausdenken, was in der Ge-
schichte passiert oder der Fall sein soll. Denn unsere Aus-
sagen müssen durch den Befund der Quellen gestützt
sein, da die Quellen allein es sind, die uns die historischen
Sachverhalte erst vermitteln." (10)

Die Tatsachen sind aufzuspüren, um sie interpretieren zu
können. Die aufgefunden Quellen sind zu ordnen, auf die
im Kontext der Forschung relevanten Quellen zu reduzie-
ren, um diese genauer auswerten zu können.
--------------------------------------------------------
aus:
http://groups.google.com/group/wissenschaftstheorie/browse_thread/thread/c41c2ad8a3bd188e#

Es geht dabei um die richtigen Quellen der Geschichts-
forschung.

K.L.
Marve Enberg
2009-02-15 09:25:57 UTC
Permalink
Post by Heinz Schusterhennes
Diese Definition mag für eine Teilmenge "historischer Tatsachen"
zutreffen, die sich in dieser Weise verifizieren lassen. Für den
überwiegenden Teil der "historischen Tatsachen" dürfte dieser Zugang aber
verschlossen sein - solange zumindest, bis eine Zeitmaschine erfunden
wurde, mit dem man in die Vergangenheit reisen kann.
Nenn' mir eine historische Tatsache, in der nicht auch eine Prognose liegt.
Heinz Schusterhennes
2009-02-15 09:49:39 UTC
Permalink
Post by Marve Enberg
Post by Heinz Schusterhennes
Diese Definition mag für eine Teilmenge "historischer Tatsachen"
zutreffen, die sich in dieser Weise verifizieren lassen. Für den
überwiegenden Teil der "historischen Tatsachen" dürfte dieser Zugang
aber verschlossen sein - solange zumindest, bis eine Zeitmaschine
erfunden wurde, mit dem man in die Vergangenheit reisen kann.
Nenn' mir eine historische Tatsache, in der nicht auch eine Prognose liegt.
Man kann aus Tatsachen freilich immer Prognosen ableiten. Darum geht es
aber gar nicht. Es geht darum, ob zweifelsfreie Verifikationen möglich
sind. Dies ist in der Geschichtswissenschaft nicht der Fall.

Erkenntnistheoretisch betrachtet, ist es sogar so, dass Verifikationen
vom Zeitfaktor abstrahieren müssen.

Nimm die Hypothese: "Es gibt mindestens einen schwarzen Schwan." Wenn wir
hier und heute eine Expedition ins Land der schwarzen Schwäne ausrüsten
und uns mit wissenschaftlicher Akribie davon überzeugen können, dass
besagtes Tier tatsächlich ein Schwan und schwarz ist, dann ist alles gut.

Doch nun nehmen wir einmal an, es habe nur einmal, und zwar vor
dreihundert Jahren in einer fernen Weltgegend ein Forschungsreisender
einen schwarzen Schwan beobachtet. Dann würde sofort die Diskussion
hinsichtlich der Glaubwürdigkeit und der Qualifikation des
Forschungsreisenden entbrennen.

Streng genommen finden Verifikationen also immer im Hier und Jetzt statt
- oder nie. Sie sind also eine Fiktion, wenngleich eine mitunter
nützliche.

Gruß
Heinz
--
/home/gresch/Documents/sig.txt
Marve Enberg
2009-02-15 09:59:56 UTC
Permalink
Post by Heinz Schusterhennes
Doch nun nehmen wir einmal an, es habe nur einmal, und zwar vor
dreihundert Jahren in einer fernen Weltgegend ein Forschungsreisender
einen schwarzen Schwan beobachtet. Dann würde sofort die Diskussion
hinsichtlich der Glaubwürdigkeit und der Qualifikation des
Forschungsreisenden entbrennen.
Wie wissen wir denn von der Sichtung des schwarzen Schwans durch den
Forschungsreisenden? Es muss ja irgendwelche Dokumente geben - in denen auch
morgen noch dasselbe wie heute oder gestern steht. Sie belegen zumindest,
dass sie gibt, dann, dass sie etwas sagen. Ob dies gelogen ist oder nicht,
laesst sich an anderen Spuren einengen...
Heinz Schusterhennes
2009-02-15 10:21:59 UTC
Permalink
Post by Marve Enberg
Post by Heinz Schusterhennes
Doch nun nehmen wir einmal an, es habe nur einmal, und zwar vor
dreihundert Jahren in einer fernen Weltgegend ein Forschungsreisender
einen schwarzen Schwan beobachtet. Dann würde sofort die Diskussion
hinsichtlich der Glaubwürdigkeit und der Qualifikation des
Forschungsreisenden entbrennen.
Wie wissen wir denn von der Sichtung des schwarzen Schwans durch den
Forschungsreisenden? Es muss ja irgendwelche Dokumente geben - in denen
auch morgen noch dasselbe wie heute oder gestern steht. Sie belegen
zumindest, dass sie gibt, dann, dass sie etwas sagen. Ob dies gelogen
ist oder nicht, laesst sich an anderen Spuren einengen...
Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob der Forschungsbericht überhaupt
echt ist. Der Autor war vielleicht ein Vorläufer von Karl May und die
Forschungsreise entspringt insgesamt nur seiner Phantasie.
Gesetzt den Fall aber, sie sei echt. Hat er nur ein schwarzes Tier
gesehen, das aussah wie ein Schwan, biologisch betrachtet aber kein
Schwan war. Diese Frage lässt sich vermutlich nicht mehr klären, weil
besagtes Tier sich längst in Staub verwandelt hat, der von allen Winden
verweht wurde.

Dies ist ein schönes Bild für die Situation der Geschichtsforschung. Von
ihr naturwissenschaftliche Präzision zu fordern hieße, ihre Abschaffung
zu betreiben. Dies würde aber bedeutet, ihre Aufgabe und Funktion
misszuverstehen. Dies gilt für alle Wissenschaften vom Menschen.

Gruß
Heinz
I&O Roeschke
2009-02-15 12:23:02 UTC
Permalink
Von der Geschichtsforschung naturwissenschaftliche Präzision
zu fordern hieße, ihre Abschaffung zu betreiben. Dies würde
aber bedeuten, ihre Aufgabe und Funktion misszuverstehen.
Dies gilt für alle Wissenschaften vom Menschen.
So ist das.
Sollte man in Stein meißeln.

Freundlichen Gruß,

Otto
Ole Streicher
2009-02-15 12:29:02 UTC
Permalink
Hallo Otto, Heinz,
Von der Geschichtsforschung naturwissenschaftliche Präzision
zu fordern hieße, ihre Abschaffung zu betreiben. Dies würde
aber bedeuten, ihre Aufgabe und Funktion misszuverstehen.
Dies gilt für alle Wissenschaften vom Menschen.
So ist das. Sollte man in Stein meißeln.
Vielleicht sollte man sie auch wirklich abschaffen? Was nutzt mir eine
"Wissenschaft", wenn nicht mal ihr Wahrheitskriterium klar ist?

Geschichten erzählen kann man ja trotzdem noch.

Viele Grüße

Ole
Arnold Schiller
2009-02-15 14:27:22 UTC
Permalink
Dieser beitrag ist möglicherweise unangemessen. Klicken sie auf, um es anzuzeigen.
Heinz Blüml
2009-02-15 14:45:54 UTC
Permalink
On Sun, 15 Feb 2009 14:27:22 +0000 (UTC), Arnold Schiller
Post by Arnold Schiller
Post by Ole Streicher
Hallo Otto, Heinz,
Vielleicht sollte man sie auch wirklich abschaffen? Was nutzt mir eine
"Wissenschaft", wenn nicht mal ihr Wahrheitskriterium klar ist?
Vielleicht sollte man die Sprache auch wirklich abschaffen? Was nutzt mir
eine "Wissenschaft", wenn nicht mal ihr Wahrheitskriterium klar ist?
Vielleicht sollte man sich einfach darauf verständigen, was man im
gegebenen Fall eigentlich will.
Es macht doch einen Unterschied, ob man von subjektiven Ansichten
spricht, oder von Darstelungen ,die nach den bekannten Naturgesetzen
so nicht funktionieren (können).

h
Heinz Schusterhennes
2009-02-16 09:32:48 UTC
Permalink
Post by Ole Streicher
Hallo Otto, Heinz,
Von der Geschichtsforschung naturwissenschaftliche Präzision zu
fordern hieße, ihre Abschaffung zu betreiben. Dies würde aber
bedeuten, ihre Aufgabe und Funktion misszuverstehen. Dies gilt für
alle Wissenschaften vom Menschen.
So ist das. Sollte man in Stein meißeln.
Vielleicht sollte man sie auch wirklich abschaffen? Was nutzt mir eine
"Wissenschaft", wenn nicht mal ihr Wahrheitskriterium klar ist?
Geschichten erzählen kann man ja trotzdem noch.
Lieber Ole,

Die Wissenschaften von Menschen haben ein Objekt, das es in der Natur
sonst nicht gibt, nämlich das Selbst.

Während beispielsweise ein Element ein Element ist, unabhängig von den
Meinungen der Subjekte - ist es dem Selbst gerade eigentümlich, dass
bestimmte Probleme für es von Bedeutung sind. Dies heißt auch, dass es
kein Selbst ohne Sprache und Sprachgemeinschaft gibt. Daher kann ein
Selbst nicht als unabhängig von dem konzipiert werden, was Subjekte über
es meinen. Und so ist der Mensch kein Objekt wie andere Naturgegenstände.

Daraus folgt eigentlich zwingend, dass die Kriterien für die Wahrheit von
Aussagen über Menschen und deren Geschick sich fundamental von den
Kriterien unterscheiden müssen, an denen wir naturwissenschaftliche
Aussagen messen.

In einem anderen Post hast du nun Objekte angeführt, die angeblich, so
deine Sicht, die gleiche Funktion erfüllen könnten wie die objektiven
Resultate eines naturwissenschaftlichen Experiments.
Du meintest, dass Geschichtswissenschaftler ähnlich wie
Naturwissenschaftler vorhersagen könnten und müssten, wann und wo ein
Objekt zum Beleg einer historischen These auftauchen und welche
Eigenschaften es haben müsste.

Du hast hier offenbar eine falsche Vorstellung von den Objekten, mit
denen die Humanwissenschaften umgehen. Dass ein Selbst-Objekt
unvergleichlich ist, habe ich bereits erläutert. Dies gilt aber auch für
alle Objekte, die von Menschen geschaffen wurden. Denn diese sind
Bedeutungsträger. Nimm beispielsweise eine Akte zum Beleg einer
historischen These. Diese Akte ist ein System von Bedeutungen. Doch mehr
als das. Sie kann auch unterschiedlich interpretiert werden. Dies ist
unvermeidlich. Denn die Interpretation hängt immer vom Kontext ab. Den
Kontext der Bedeutung der von Menschen geschaffenen Objekte finden wir
aber in der Natur nicht vor, wir konstruieren ihn. Der Natur wohnt kein
spezifischer Kontext menschlicher Bedeutungen inne. Wir tragen die
Kontexte vielmehr an die Natur heran. Und keiner dieser Kontexte ist
logisch gegenüber anderen ausgezeichnet. Welcher aber empirisch
ausgezeichnet sei, ist eine Frage von konstruierten Maßstäben, die offen
sind für Diskussionen.

Daher sind die Wissenschaften vom Menschen Diskussionswissenschaften, in
denen Wirklichkeitsmodelle miteinander verglichen, ihre Implikationen und
Voraussetzungen disputiert werden. Wahrheit im Sinne
naturwissenschaftlicher Forschung vermögen die Wissenschaften vom
Menschen nicht hervorzubringen.

Gruß
Heinz

PS: Lieber Otto, nett, dass du meine Ausführungen in Stein meißeln
willst. Wann und wo wird die Tafel enthüllt? Bitte meinen Namen richtig
schreiben, nicht "Crash".
Ole Streicher
2009-02-16 14:49:45 UTC
Permalink
Hallo Heinz,
Post by Heinz Schusterhennes
Die Wissenschaften von Menschen haben ein Objekt, das es in der Natur
sonst nicht gibt, nämlich das Selbst.
Da würde ich widersprechen. Wenn man (z.B.) Geschichtswissenschaft
betreibt, dann beschäftigt man sich nicht mit sich selbst, sondern mit
anderen Menschen (bzw. mit einer anderen Gesellschaft). Das
untersuchte Objekt ist also zwar von der gleichen Art, aber nicht das
Selbst.
Post by Heinz Schusterhennes
Während beispielsweise ein Element ein Element ist, unabhängig von den
Meinungen der Subjekte - ist es dem Selbst gerade eigentümlich, dass
bestimmte Probleme für es von Bedeutung sind. Dies heißt auch, dass es
kein Selbst ohne Sprache und Sprachgemeinschaft gibt. Daher kann ein
Selbst nicht als unabhängig von dem konzipiert werden, was Subjekte über
es meinen.
Natürlich kann. Man kann die Geschichte eines polynesischen Volkes
untersuchen. Das ist nicht die eigene Geschichte. *Mein* Selbst und
*Meine* Sprachgemeinschaft sind nicht unbedingt abhängig von der
Sprache und der Sprachgemeinschaft der Polynesier.

Ich kann sogar Aussagen über die eigene Geschichte machen, da unser
"Selbst" zwar aus der Vergangenheit resultiert, aber nicht mit dem
Vergangenen identisch ist.

Unser Selbst ist ja auch z.B. abhängig von der kosmologischen
Entwicklung -- ja wir sind selbst sogar Teil dieser Entwicklung.
Trotzdem kann ich über die kosmologische Entwicklung mit
naturwissenschaftlichen Kriterien entscheiden.
Post by Heinz Schusterhennes
Und so ist der Mensch kein Objekt wie andere Naturgegenstände.
Das scheint mir zu schnell geschlossen.
Post by Heinz Schusterhennes
Daraus folgt eigentlich zwingend, dass die Kriterien für die Wahrheit von
Aussagen über Menschen und deren Geschick sich fundamental von den
Kriterien unterscheiden müssen, an denen wir naturwissenschaftliche
Aussagen messen.
Nö :-) Man kann durchaus Aussagen zu verschiedenen Objekten mit den
gleichen Kriterien messen.

Ich kann durchaus biologische Aussagen über Menschen machen und diese
nach naturwissenschaftlichen Kriterien messen (sagen wir mal: seine
Zellbestandteile), obwohl "der Mensch" deiner Meinung nach kein Objekt
wie andere Naturgegenstände ist.
Post by Heinz Schusterhennes
In einem anderen Post hast du nun Objekte angeführt, die angeblich, so
deine Sicht, die gleiche Funktion erfüllen könnten wie die objektiven
Resultate eines naturwissenschaftlichen Experiments.
So richtig widersprochen hast du in dem konkreten Beispiel auch nicht.
Post by Heinz Schusterhennes
Du meintest, dass Geschichtswissenschaftler ähnlich wie
Naturwissenschaftler vorhersagen könnten und müssten, wann und wo ein
Objekt zum Beleg einer historischen These auftauchen und welche
Eigenschaften es haben müsste.
Das wäre eine Möglichkeit. "Belege" sind aber sicher nicht die einzige
Möglichkeit, Dinge in Geschichte vorherzusagen.
Post by Heinz Schusterhennes
Nimm beispielsweise eine Akte zum Beleg einer historischen
These. Diese Akte ist ein System von Bedeutungen. Doch mehr als
das. Sie kann auch unterschiedlich interpretiert werden.
Sicher -- dann sind solche Akte eben keine guten Arbeitsmittel.

Aber du hattest als Beispiel ja selbst einen Vertrag genannt und das
Beispiel der Fälschung angeführt. Ob eine Urkunde eine Fälschung ist,
ist eben mit naturwissenschaftlichen Mitteln (zumindest im Prinzip)
feststellbar. Wenn eine geschichtliche Theorie also vorhersagt, dass
ein bestimmter Vetrag nicht existiert, sich aber gut nachweisen lässt,
dass es diesen gibt, dann hat die Theorie ein Problem.
Post by Heinz Schusterhennes
Denn die Interpretation hängt immer vom Kontext ab. Den Kontext der
Bedeutung der von Menschen geschaffenen Objekte finden wir aber in
der Natur nicht vor, wir konstruieren ihn.
Der Kontext der Bedeutung *aller* Objekte hängt vom Menschen
ab. "Bedeutung" ist (sofern man dieses Wort in einer Theorie überhaupt
benötigt) immer etwas, was wir einem Objekt zuordnen; es ist ihm nie
von sich aus innewohnend.
Post by Heinz Schusterhennes
Der Natur wohnt kein spezifischer Kontext menschlicher Bedeutungen
inne.
... was (in einem soziobiologischen Sinne) nicht direkt überzeugt. Ich
kann eine menschliche Gesellschaft (sagen wir mal die Bayern, die
alten Ägypter, eine Neandertalerhorde oder eine frühe Form der
Gemeinschaft des Homo Erectus) genauso untersuchen wie ich es mit
einer Horde Schimpansen kann oder einem Rudel Wölfe, einem Fischschwarm,
einem Ameisenstaat oder einer Zellkolonie tue.

Für keine dieser Gemeinschaften wohnt der Natur ein "spezifischer
Kontext" inne. Warum sollte ich also ein südliches Bergvolk anders
untersuchen als eine Zellkolonie? Nur weil erstere hier mitlesen
und verstehen können? (was ist dann mit den Ägyptern?)
Post by Heinz Schusterhennes
Daher sind die Wissenschaften vom Menschen Diskussionswissenschaften, in
denen Wirklichkeitsmodelle miteinander verglichen, ihre Implikationen und
Voraussetzungen disputiert werden.
Wenn man sie miteinander vergleicht, muss man ja Kriterien des
Vergleiches haben. Und die scheint es mir dabei nicht zu geben, was
Deine Aussage hier etwas bedeutungslos erscheinen lässt.

Viele Grüße

Ole
I&O Roeschke
2009-02-16 15:38:51 UTC
Permalink
Hallo Ole,
Post by Ole Streicher
Für keine dieser Gemeinschaften wohnt der Natur ein "spezifischer
Kontext" inne. Warum sollte ich also ein südliches Bergvolk anders
untersuchen als eine Zellkolonie? Nur weil erstere hier mitlesen
und verstehen können? (was ist dann mit den Ägyptern?)
wie willst du mit naturwissenschaftlichen Methoden herausfinden,
welche Rolle der "Kini" in den Köpfen jenes zänkischen Bergvolkes
spielt, das, eingekeilt zwischen Nordrand der Alpen und
Westgrenze Chinas (letzteres als Zukunftsperspektive) seine
Tage fristet?

Freundlichen Gruß,

Otto
Heinz Schusterhennes
2009-02-16 15:44:47 UTC
Permalink
----- Original Message -----
From: "Ole Streicher" <ole-usenet-***@gmx.net>
Newsgroups: de.sci.philosophie
Sent: Monday, February 16, 2009 3:49 PM
Subject: Re: Was ist eine historische Tatsache?

Hallo Ole!
Post by Ole Streicher
Hallo Heinz,
Post by Heinz Schusterhennes
Die Wissenschaften von Menschen haben ein Objekt, das es in der Natur
sonst nicht gibt, nämlich das Selbst.
Da würde ich widersprechen. Wenn man (z.B.) Geschichtswissenschaft
betreibt, dann beschäftigt man sich nicht mit sich selbst, sondern mit
anderen Menschen (bzw. mit einer anderen Gesellschaft). Das
untersuchte Objekt ist also zwar von der gleichen Art, aber nicht das
Selbst.
Wissenschaften vom Menschen können nie von der Tatsache abstrahieren, dass
der Mensch ein Selbst ist, also ein Subjekt, das sich aus
erkenntnistheoretischen Gründen nicht vollständig objektivieren lässt. Darum
ist das Objekt der Wissenschaften vom Menschen, nämlich der Mensch, kein
Objekt wie andere Objekte. Das Individuum hat einen einzigartigen Zugang zu
sich selbst. Nur das Ich kann mit Recht Ich zu sich sagen. Dieses
Insider-Wissen kann man von außen, durch Beobachtung nicht erwerben. Und
hier liegt der Hase im Pfeffer.
Post by Ole Streicher
Post by Heinz Schusterhennes
Während beispielsweise ein Element ein Element ist, unabhängig von den
Meinungen der Subjekte - ist es dem Selbst gerade eigentümlich, dass
bestimmte Probleme für es von Bedeutung sind. Dies heißt auch, dass es
kein Selbst ohne Sprache und Sprachgemeinschaft gibt. Daher kann ein
Selbst nicht als unabhängig von dem konzipiert werden, was Subjekte über
es meinen.
Natürlich kann. Man kann die Geschichte eines polynesischen Volkes
untersuchen. Das ist nicht die eigene Geschichte. *Mein* Selbst und
*Meine* Sprachgemeinschaft sind nicht unbedingt abhängig von der
Sprache und der Sprachgemeinschaft der Polynesier.
Darum können wir aber auch die Geschichte des polynesischen Volkes nicht
erforschen, ohne mit diesem Volk in einen Dialog zu treten oder uns mit
Bedeutungsträgern, die dieses Volk geschaffen hat, auseinanderzusetzen. Mit
einem Quark müssen wir nicht in Dialog treten, wir können es ja auch gar
nicht. Dies macht einen gewaltigen Unterschied.
Post by Ole Streicher
Ich kann sogar Aussagen über die eigene Geschichte machen, da unser
"Selbst" zwar aus der Vergangenheit resultiert, aber nicht mit dem
Vergangenen identisch ist.
Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass auch die Menschen der
Vergangenheit ein Selbst hatten - und daher nicht bloß physikalische Objekte
waren.
Post by Ole Streicher
Unser Selbst ist ja auch z.B. abhängig von der kosmologischen
Entwicklung -- ja wir sind selbst sogar Teil dieser Entwicklung.
Trotzdem kann ich über die kosmologische Entwicklung mit
naturwissenschaftlichen Kriterien entscheiden.
Der Kosmos ist nicht das Selbst. Ich sprach von den Wissenschaften vom
Menschen.
Post by Ole Streicher
Post by Heinz Schusterhennes
Und so ist der Mensch kein Objekt wie andere Naturgegenstände.
Das scheint mir zu schnell geschlossen.
Keineswegs. Der Mensch bewegt sich - um mit Taylor zu sprechen - immer in
einem Raum von Fragen zum guten Leben. Er kann gar nicht anders. Dies ist
eine transzendentale Bedingung seines Bezugs zur Welt. Dadurch ist der
Mensch als Objekt unter Objekten einzigartig.
Post by Ole Streicher
Post by Heinz Schusterhennes
Daraus folgt eigentlich zwingend, dass die Kriterien für die Wahrheit von
Aussagen über Menschen und deren Geschick sich fundamental von den
Kriterien unterscheiden müssen, an denen wir naturwissenschaftliche
Aussagen messen.
Nö :-) Man kann durchaus Aussagen zu verschiedenen Objekten mit den
gleichen Kriterien messen.
Man kann alles Mögliche. Ob es sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt.
Post by Ole Streicher
Ich kann durchaus biologische Aussagen über Menschen machen und diese
nach naturwissenschaftlichen Kriterien messen (sagen wir mal: seine
Zellbestandteile), obwohl "der Mensch" deiner Meinung nach kein Objekt
wie andere Naturgegenstände ist.
Natürlich kann ich Aussagen über menschliche Zellen oder andere Bestandteile
des menschlichen Körpers machen, ohne auf die Selbstheit des Menschen zu
rekurrieren, Aber dass der Mensch aus Zellen besteht, macht sein Menschsein
nicht aus. Wenn ich den Menschen als geschichtlich handelndes Wesen
verstehen will, so genügt es nicht, nur Aussagen über körperliche Strukturen
und Funktionen zu machen. Genau darum führen ja auch die
neuro-wissenschaftlichen Ansätze, sofern sie Philosophie und Psychologie zu
ersetzen trachten, zu schierer Narretei. Die Subjektivität des Menschen
bringt eine /Unberechenbarkeit/ ins Spiel, die sich neurologisch nicht
modellieren lässt. Von den Neuro-Wissenschaftlern hören wir immer nur das
Versprechen, dass sie die Subjektivität irgendwann einmal neurologisch
erklären könnten. Aber sie wissen noch nicht einmal, welcher Weg dorthin
führen könnte. Das sind also nur leere Versprechungen.
Post by Ole Streicher
Post by Heinz Schusterhennes
In einem anderen Post hast du nun Objekte angeführt, die angeblich, so
deine Sicht, die gleiche Funktion erfüllen könnten wie die objektiven
Resultate eines naturwissenschaftlichen Experiments.
So richtig widersprochen hast du in dem konkreten Beispiel auch nicht.
Post by Heinz Schusterhennes
Du meintest, dass Geschichtswissenschaftler ähnlich wie
Naturwissenschaftler vorhersagen könnten und müssten, wann und wo ein
Objekt zum Beleg einer historischen These auftauchen und welche
Eigenschaften es haben müsste.
Das wäre eine Möglichkeit. "Belege" sind aber sicher nicht die einzige
Möglichkeit, Dinge in Geschichte vorherzusagen.
Die Geschichtswissenschaften beziehen sich aber überwiegend auf schriftliche
Zeugnisse oder auf irgend welche Artefakte, denen eine mutmaßliche Bedeutung
innewohnt, die von Menschen in sie hineingelegt worden ist
(Gegenstandsbedeutungen). Ein ausgegrabene Axt beispielsweise verweist durch
Form und Beschaffenheit auf die Weise ihres Gebrauchs. Form und
Beschaffenheit aber sind Resultate menschlichen Handelns und somit immer
bedeutungshaltig. Das, was die Axt zur Axt macht, ist Bedeutung und kann
darum gar nicht naturwissenschaftlich erforscht werden, denn es gibt keine
Naturwissenschaft der Bedeutung.
Post by Ole Streicher
Post by Heinz Schusterhennes
Nimm beispielsweise eine Akte zum Beleg einer historischen
These. Diese Akte ist ein System von Bedeutungen. Doch mehr als
das. Sie kann auch unterschiedlich interpretiert werden.
Sicher -- dann sind solche Akte eben keine guten Arbeitsmittel.
Es gibt aber nur Arbeitsmittel dieser Art.
Post by Ole Streicher
Aber du hattest als Beispiel ja selbst einen Vertrag genannt und das
Beispiel der Fälschung angeführt. Ob eine Urkunde eine Fälschung ist,
ist eben mit naturwissenschaftlichen Mitteln (zumindest im Prinzip)
feststellbar.
Das ist häufig keineswegs mit naturwissenschaftlichen Mitteln feststellbar.
Im Mittelalter wurden beispielsweise sehr häufig Urkunden gefälscht, um
Besitzansprüche zu untermauern. Dazu wurden natürlich nur Materialien
verwendet, die damals in Gebrauch waren. Wie willst du da mit
naturwissenschaftlichen Methoden feststellen, ob es sich um eine Fälschung
handelt?
Post by Ole Streicher
Wenn eine geschichtliche Theorie also vorhersagt, dass
ein bestimmter Vetrag nicht existiert, sich aber gut nachweisen lässt,
dass es diesen gibt, dann hat die Theorie ein Problem.
Das widerspricht meiner Position nicht. Allerdings geht es hier nicht um
einen naturwissenschaftlichen Existenznachweis, jedenfalls nicht in erster
Linie. Die Naturwissenschaften könnten allenfalls nachweisen, dass ein
Vertrag beispielsweise 500 Jahre später hergestellt wurde. Dass aber der
Vetrag tatsächlich relevant ist hinsichtlich der Theorie, dies kann
überhaupt nur geisteswissenschaftlich geklärt werden.
Post by Ole Streicher
Post by Heinz Schusterhennes
Denn die Interpretation hängt immer vom Kontext ab. Den Kontext der
Bedeutung der von Menschen geschaffenen Objekte finden wir aber in
der Natur nicht vor, wir konstruieren ihn.
Der Kontext der Bedeutung *aller* Objekte hängt vom Menschen
ab. "Bedeutung" ist (sofern man dieses Wort in einer Theorie überhaupt
benötigt) immer etwas, was wir einem Objekt zuordnen; es ist ihm nie
von sich aus innewohnend.
Du hast es nicht verstanden oder willst es nicht verstehen. Die
geisteswissenschaftlichen Objekte /haben/ nicht nur Bedeutung. Sie sind
/Bedeutung/. Sie bestehen aus nichts anderem. Dies trifft auf physikalische
Objekte nicht zu. Ein Vertrag ist ein System von Bedeutungen, sonst nichts.
Die Art des Papiers, auf dem er steht, ist unerheblich, was das Vertragliche
des Vetrages betrifft. Man könnte ihn auch auf Steintafeln ritzen. Das ist
doch beliebig.
Post by Ole Streicher
Post by Heinz Schusterhennes
Der Natur wohnt kein spezifischer Kontext menschlicher Bedeutungen
inne.
... was (in einem soziobiologischen Sinne) nicht direkt überzeugt. Ich
kann eine menschliche Gesellschaft (sagen wir mal die Bayern, die
alten Ägypter, eine Neandertalerhorde oder eine frühe Form der
Gemeinschaft des Homo Erectus) genauso untersuchen wie ich es mit
einer Horde Schimpansen kann oder einem Rudel Wölfe, einem Fischschwarm,
einem Ameisenstaat oder einer Zellkolonie tue.
Nein. Das kannst du nicht. Weil menschliche Gemeinschaften aus Wesen
bestehen, denen Selbstheit eignet, die sich also in einem Raum von Fragen
bewegen, die sich auf das gute Leben beziehen. Dies setzt eine hoch
symbolisierungsfähige Sprachgemeinschaft voraus. Dadurch entstehen völlig
andere Bedingungen. Die Physik der Quarks hängt nicht davoin ab, was diese
sich unter einem guten Leben vorstellen. Das Verhalten eines Menschen aber
schon.
Post by Ole Streicher
Für keine dieser Gemeinschaften wohnt der Natur ein "spezifischer
Kontext" inne. Warum sollte ich also ein südliches Bergvolk anders
untersuchen als eine Zellkolonie? Nur weil erstere hier mitlesen
und verstehen können? (was ist dann mit den Ägyptern?)
Eine Zellkolonie ist keine Sprachgemeinschaft. Wenn man von
Zellkommunikation spricht, so ist dies allenfalls in metaphorischem Sinne
zutreffend. Zellen tauschen keine Bedeutungen aus. Bedeuten - das kommt von
deuten. Menschen deuten, verweisen auf Gegenstände und verbinden mit diesen
verweisenden Gesten einerseits Handlungsabsichten und andererseits
Bewertungen (Gefühle, Ausdruck der Zuneigung oder Abscheu beispielsweise).
Sie lösen diese Gesten aus den situativen Bezügen heraus und ersetzen sie
durch Zeichen, mit denen sie kommunizieren. All dies hat Selbstheit zur
Voraussetzung - und Objekte, denen diese Selbstheit nicht eignet, die können
auch nicht so analysiert und erforscht werden Menschen. Auch Tiere, sogar
die höher entwickelten, lassen sich so nicht analysieren, schon allein darum
nicht, weil sie nicht zur Handlung befähigt sind. Dazu müssten sie in der
Lage sein, Erwartungen zu bilden, Mittel zur Zielerreichung auszuwählen und
sich bewusst Ziele zu setzen. Das aber können sie nicht, die niedlichen,
süßen Tierlein.
Post by Ole Streicher
Post by Heinz Schusterhennes
Daher sind die Wissenschaften vom Menschen Diskussionswissenschaften, in
denen Wirklichkeitsmodelle miteinander verglichen, ihre Implikationen und
Voraussetzungen disputiert werden.
Wenn man sie miteinander vergleicht, muss man ja Kriterien des
Vergleiches haben. Und die scheint es mir dabei nicht zu geben, was
Deine Aussage hier etwas bedeutungslos erscheinen lässt.
Natürlich gibt es Kriterien. Hätte ich je etwas anderes behauptet? Es sind
nur nicht die Kriterien der Naturwissenschaft. Es gibt ja auch Kriterien der
Schönheit von - sagen wir - Bildern oder Musikstücken. Nur kann man darüber
nicht in naturwissenschaftlichen Begriffen disputieren. Deratiges lässt sich
nicht quantifizieren. Klar: Es hat Versuche einer "naturwissenschaftlichen",
quantitativen Ästhetik gegeben. Was dabei herauskam, war das Übliche:
Narretei.

Gruß
Heinz
Ole Streicher
2009-02-16 16:43:10 UTC
Permalink
Post by Heinz Schusterhennes
Wissenschaften vom Menschen können nie von der Tatsache abstrahieren, dass
der Mensch ein Selbst ist, also ein Subjekt, das sich aus
erkenntnistheoretischen Gründen nicht vollständig objektivieren lässt. Darum
ist das Objekt der Wissenschaften vom Menschen, nämlich der Mensch, kein
Objekt wie andere Objekte. Das Individuum hat einen einzigartigen Zugang zu
sich selbst. Nur das Ich kann mit Recht Ich zu sich sagen. Dieses
Insider-Wissen kann man von außen, durch Beobachtung nicht erwerben. Und
hier liegt der Hase im Pfeffer.
Das trifft zu, wenn ich über mich rede (oder Du über Dich).
Es trifft schon nicht mehr zu, wenn wir beide über I&O Roeschke reden.

Da sind wir beide außen, das können wir objektiv tun. Genauso wie wir
über unsere Ahnen reden und zu ihnen einen objektiven Zugang haben
können.
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Ole Streicher
Ich kann sogar Aussagen über die eigene Geschichte machen, da unser
"Selbst" zwar aus der Vergangenheit resultiert, aber nicht mit dem
Vergangenen identisch ist.
Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass auch die Menschen der
Vergangenheit ein Selbst hatten - und daher nicht bloß physikalische
Objekte waren.
Ja, aber *ich* kann doch über sie reden, auch wenn *ich* einen
exklusiven Zugang zu mir selbst habe.

Im übrigen halte ich es gar nicht für so offensichtlich, dass die
Menschen in der Vergangenheit (sagen wir mal: mein Urgroßvater, oder
ein Pharao) diesen Zugang tatsächlich hatte, er also über ein Selbst
verfügte. Dummerweise habe ich auch keine Möglichkeit, es
herauszufinden (und würde es entsprechend einfach für eine
überflüssige Annahme halten).
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Ole Streicher
Unser Selbst ist ja auch z.B. abhängig von der kosmologischen
Entwicklung -- ja wir sind selbst sogar Teil dieser Entwicklung.
Trotzdem kann ich über die kosmologische Entwicklung mit
naturwissenschaftlichen Kriterien entscheiden.
Der Kosmos ist nicht das Selbst. Ich sprach von den Wissenschaften vom
Menschen.
Wir sind Teil des Kosmos und seiner Entwicklung. So wie wir Teil
unserer Gesellschaft sind.
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Ole Streicher
Post by Heinz Schusterhennes
Und so ist der Mensch kein Objekt wie andere Naturgegenstände.
Das scheint mir zu schnell geschlossen.
Keineswegs. Der Mensch bewegt sich - um mit Taylor zu sprechen - immer in
einem Raum von Fragen zum guten Leben.
Tun wir das? Und/oder ist das nur eine tautologische Aussage, weil
hier einfach das als "gutes Leben" *bezeichnet* wird, was den Menschen
bewegt?
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Ole Streicher
Ich kann durchaus biologische Aussagen über Menschen machen und diese
nach naturwissenschaftlichen Kriterien messen (sagen wir mal: seine
Zellbestandteile), obwohl "der Mensch" deiner Meinung nach kein Objekt
wie andere Naturgegenstände ist.
Natürlich kann ich Aussagen über menschliche Zellen oder andere Bestandteile
des menschlichen Körpers machen, ohne auf die Selbstheit des Menschen zu
rekurrieren, Aber dass der Mensch aus Zellen besteht, macht sein Menschsein
nicht aus.
Meins schon :-) zumindest teilweise. Und auch du wirst spätestens
merken, wie sehr Dich Deine Bestandteile ausmachen, wenn sie sich
aufzulösen beginnen.
Post by Heinz Schusterhennes
Wenn ich den Menschen als geschichtlich handelndes Wesen verstehen
will, so genügt es nicht, nur Aussagen über körperliche Strukturen
und Funktionen zu machen.
Das muss man ja auch gar nicht darauf beschränken. Man kann ja auch
Aussagen über Systeme machen: über Systeme von Zellen, über Systeme
von Individuen usw.
Post by Heinz Schusterhennes
Genau darum führen ja auch die neuro-wissenschaftlichen Ansätze,
sofern sie Philosophie und Psychologie zu ersetzen trachten, zu
schierer Narretei.
Ich rede nicht über Philosophie.
Post by Heinz Schusterhennes
Die Subjektivität des Menschen bringt eine /Unberechenbarkeit/ ins
Spiel, die sich neurologisch nicht modellieren lässt.
Diese Unberechenbarkeit kann ich dann aber auch nicht anders erfassen.

Was meinst Du überhaupt mit "I&O Roeschke ist subjektiv" (Sorry Otto
dass Du hier als Beispiel für einen Dritten herhalten musst) ?
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Ole Streicher
Das wäre eine Möglichkeit. "Belege" sind aber sicher nicht die einzige
Möglichkeit, Dinge in Geschichte vorherzusagen.
Die Geschichtswissenschaften beziehen sich aber überwiegend auf schriftliche
Zeugnisse oder auf irgend welche Artefakte, denen eine mutmaßliche Bedeutung
innewohnt, die von Menschen in sie hineingelegt worden ist
(Gegenstandsbedeutungen). Ein ausgegrabene Axt beispielsweise verweist durch
Form und Beschaffenheit auf die Weise ihres Gebrauchs. Form und
Beschaffenheit aber sind Resultate menschlichen Handelns und somit immer
bedeutungshaltig. Das, was die Axt zur Axt macht, ist Bedeutung und kann
darum gar nicht naturwissenschaftlich erforscht werden, denn es gibt keine
Naturwissenschaft der Bedeutung.
Was sie zur Axt macht, ist nicht die Bedeutung, sondern die
Verwendung. Und die kann man -- beispielsweise durch Nutzungsspuren --
untersuchen.

Wenn ich bei Vögeln Werkzeuggebrauch naturwissenschaftlich untersuchen
kann: warum sollte ich das nicht auch beim Menschen können?
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Ole Streicher
Post by Heinz Schusterhennes
Nimm beispielsweise eine Akte zum Beleg einer historischen
These. Diese Akte ist ein System von Bedeutungen. Doch mehr als
das. Sie kann auch unterschiedlich interpretiert werden.
Sicher -- dann sind solche Akte eben keine guten Arbeitsmittel.
Es gibt aber nur Arbeitsmittel dieser Art.
Du hattest selber das Beispiel mit dem Vertrag gebracht.
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Ole Streicher
Aber du hattest als Beispiel ja selbst einen Vertrag genannt und das
Beispiel der Fälschung angeführt. Ob eine Urkunde eine Fälschung ist,
ist eben mit naturwissenschaftlichen Mitteln (zumindest im Prinzip)
feststellbar.
Das ist häufig keineswegs mit naturwissenschaftlichen Mitteln feststellbar.
Im Mittelalter wurden beispielsweise sehr häufig Urkunden gefälscht, um
Besitzansprüche zu untermauern. Dazu wurden natürlich nur Materialien
verwendet, die damals in Gebrauch waren. Wie willst du da mit
naturwissenschaftlichen Methoden feststellen, ob es sich um eine Fälschung
handelt?
C14-Methode hilft mit entsprechender Genauigkeit sicher häufig. Wenn
man es eben nicht feststellen kann, kann man sich ansonsten genau das
ja auch eingestehen und entsprechend werten. Um bei Deinem
Ausgangsbeispiel zu bleiben: Mit einem Blatt Papier zu wedeln, dessen
Echtheit fraglich ist, und dann von einem grandiosen Durchbruch zu
jubeln, ist schlicht unseriös.
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Ole Streicher
Wenn eine geschichtliche Theorie also vorhersagt, dass
ein bestimmter Vetrag nicht existiert, sich aber gut nachweisen lässt,
dass es diesen gibt, dann hat die Theorie ein Problem.
Das widerspricht meiner Position nicht. Allerdings geht es hier nicht um
einen naturwissenschaftlichen Existenznachweis, jedenfalls nicht in erster
Linie. Die Naturwissenschaften könnten allenfalls nachweisen, dass ein
Vertrag beispielsweise 500 Jahre später hergestellt wurde. Dass aber der
Vetrag tatsächlich relevant ist hinsichtlich der Theorie, dies kann
überhaupt nur geisteswissenschaftlich geklärt werden.
Wenn er es nicht wäre, bräuchte man auch nicht danach zu suchen. Das
sollte man aber vor der Suche klären.
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Ole Streicher
Post by Heinz Schusterhennes
Der Natur wohnt kein spezifischer Kontext menschlicher Bedeutungen
inne.
... was (in einem soziobiologischen Sinne) nicht direkt überzeugt. Ich
kann eine menschliche Gesellschaft (sagen wir mal die Bayern, die
alten Ägypter, eine Neandertalerhorde oder eine frühe Form der
Gemeinschaft des Homo Erectus) genauso untersuchen wie ich es mit
einer Horde Schimpansen kann oder einem Rudel Wölfe, einem Fischschwarm,
einem Ameisenstaat oder einer Zellkolonie tue.
Nein. Das kannst du nicht. Weil menschliche Gemeinschaften aus Wesen
bestehen, denen Selbstheit eignet, die sich also in einem Raum von Fragen
bewegen, die sich auf das gute Leben beziehen.
Das "gute Leben" ist deine Interpretation, der ich nicht folge. Zumal
sich Geschichtswissenschaft nicht nur mit dem Streben nach einem
"guten Leben" beschäftigen muss.
Post by Heinz Schusterhennes
Dies setzt eine hoch symbolisierungsfähige Sprachgemeinschaft
voraus. Dadurch entstehen völlig andere Bedingungen. Die Physik der
Quarks hängt nicht davoin ab, was diese sich unter einem guten Leben
vorstellen. Das Verhalten eines Menschen aber schon.
Und das Verhalten eines Süßwasserpolypen? Einer Katze? Oder eines
Bonobos? Eines Neandertalers? Eines Maori?
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Ole Streicher
Für keine dieser Gemeinschaften wohnt der Natur ein "spezifischer
Kontext" inne. Warum sollte ich also ein südliches Bergvolk anders
untersuchen als eine Zellkolonie? Nur weil erstere hier mitlesen
und verstehen können? (was ist dann mit den Ägyptern?)
Eine Zellkolonie ist keine Sprachgemeinschaft. Wenn man von
Zellkommunikation spricht, so ist dies allenfalls in metaphorischem Sinne
zutreffend.
Tiere können Sprachgemeinschaften bilden, und zwar nicht nur
metaphorisch. Trotzdem kann ich sie naturwissenschaftlich (nämlich
biologisch) untersuchen.
Post by Heinz Schusterhennes
Sie lösen diese Gesten aus den situativen Bezügen heraus und ersetzen sie
durch Zeichen, mit denen sie kommunizieren.
Jeder ritualisierte Kampf zwischen Tieren besteht aus Zeichen, die aus
den situativen Bezügen gelöst sind: Katzen deuten einen Biß an, führen
ihn aber nicht aus. Das ist ein Zeichen, das ist symbolische
Kommunikation.
Post by Heinz Schusterhennes
Auch Tiere, sogar die höher entwickelten, lassen sich so nicht
analysieren, schon allein darum nicht, weil sie nicht zur Handlung
befähigt sind. Dazu müssten sie in der Lage sein, Erwartungen zu
bilden, Mittel zur Zielerreichung auszuwählen und sich bewusst Ziele
zu setzen.
Und woher weißt Du, dass das z.B. Krähen nicht tun? Oder Primaten?
Post by Heinz Schusterhennes
Das aber können sie nicht, die niedlichen, süßen Tierlein.
Und können es denn alle Menschen? Auch die alten Germanen?
Alzheimerkranke? Autisten? Woher weißt Du das? Wie bestimmst Du das?
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Ole Streicher
Post by Heinz Schusterhennes
Daher sind die Wissenschaften vom Menschen Diskussionswissenschaften, in
denen Wirklichkeitsmodelle miteinander verglichen, ihre Implikationen und
Voraussetzungen disputiert werden.
Wenn man sie miteinander vergleicht, muss man ja Kriterien des
Vergleiches haben. Und die scheint es mir dabei nicht zu geben, was
Deine Aussage hier etwas bedeutungslos erscheinen lässt.
Natürlich gibt es Kriterien. Hätte ich je etwas anderes behauptet? Es sind
nur nicht die Kriterien der Naturwissenschaft.
Sondern welche?
Post by Heinz Schusterhennes
Es gibt ja auch Kriterien der Schönheit von - sagen wir - Bildern
oder Musikstücken. Nur kann man darüber nicht in
naturwissenschaftlichen Begriffen disputieren.
Das ist ja etwas anderes. Bilder oder Musik hat nicht den Anspruch,
"Wissenschaft" zu sein (im Gegensatz zur Geschichts*wissenschaft*).

Wenn man etwas "Wissenschaft" nennt, dann muss man IMO auch Kriterien
benennen, die es von dem, was nicht Wissenschaft ist, abgrenzen.

Ein (natur)wissenschaftliches Wahrheitskriterium wäre so etwas. Wenn
Du es für nicht allgemeingültig hältst: was verbindet denn
Geschichtswissenschaft und Kosmologie, dass man beides Wissenschaften
nennt?

Wie schon zu Anfang geschrieben: gegen das Erzählen von Geschichten
habe ich ja nichts. Da würde ich auch keine wissenschaftlichen
Kriterien anlegen

Viele Grüße

Ole
Heinz Schusterhennes
2009-02-16 17:20:06 UTC
Permalink
Post by Ole Streicher
Wenn ich bei Vögeln Werkzeuggebrauch naturwissenschaftlich untersuchen
kann: warum sollte ich das nicht auch beim Menschen können?
Lieber Ole,

mir ist es zu zeitaufwendig, diese Diskussion weiterzuführen, da ich hier
offenbar zunächst die allergrundlegendsten Grundlagen einzuführen hätte.

Wenn dir nicht klar ist, dass beispielsweise zwischen dem Damm eines Bibers
und einem von Menschen errichteten Staudamm nicht nur ein quantitativer,
sondern ein qualitativer Unterschied besteht, dann fühle ich mich auch nicht
dazu berufen, dir diesen Unterschied zu erklären. Auch nicht, dass die
qualitativen Unterschiede zwischen Menschensprache und Tiersprache
sprachwissenschaftlich eindeutig geklärt wurden. Auch nicht, dass die
Unterschiede auf unterschiedlichen kognitiven Fähigkeiten beruhen, die sich
beim Menschen nachweislich in einem bestimmten Alter entwickeln, bei Tieren
nachweislich aber nie. Und auch nicht, dass dies genau der Grund ist, warum
Biber keine Staudämme bauen können, die mit selbst den allerprimitivsten
menschlichen vergleichbar wären. Auch nicht, dass die ideologische Funktion
des Naturalismus darin besteht, die Menschen auf die immer weiter um sich
greifende Fremdbestimmung einzustimmen mit dem Argument, dass sie ja nichts
Existentes, sondern nur eine Illusion aufzugeben hätten, wenn sie auf ihren
freien Willen verzichten.

Allein schon die Naturwissenschaft, auf die du dich so gern berufst, kommt
ja im Tierreich sonst nicht vor, noch nicht einmal in den
allerbescheidensten Ansätzen. Und dass dir dies nicht zu denken gibt, gibt
mir zu denken. Also: Nichts für ungut.

EOD

Gruß
Heinz

PS: Wenn es dir nur darum geht, den Wissenschaften vom Menschen die
Wissenschaftlichkeit abzusprechen, sobald sie der Versuchung widerstehen,
sich als Naturwissenschaften zu inszenieren, dann sei's drum. Du darfst die
Wissenschaftlichkeit gern für die Naturwissenschaften reklamieren, denn in
diesem Fall erscheint es mir nicht sinnvoll, mich mit dir um des Kaisers
Bart zu streiten. Wissenschaftlichkeit - zugeschriebene oder echte - ist ja
kein Wert an sich. Wer erwartet auch schon naturwissenschaftliche
Erkenntnisse von der Geschichtswissenschaft? Wer geht zum Schuster, wenn er
Brötchen braucht? Und wer zum Psychologen geht, um beispielsweise soziale
Probleme in seinem Betrieb naturwissenschaftlich zu lösen, der braucht den
Psychologen womöglich dringender, als ihm klar ist.
Ole Streicher
2009-02-16 19:18:56 UTC
Permalink
Hallo Heinz,
Post by Heinz Schusterhennes
mir ist es zu zeitaufwendig, diese Diskussion weiterzuführen, da ich hier
offenbar zunächst die allergrundlegendsten Grundlagen einzuführen hätte.
Arroganz ist doch was feines...
Post by Heinz Schusterhennes
Wenn dir nicht klar ist, dass beispielsweise zwischen dem Damm eines Bibers
und einem von Menschen errichteten Staudamm nicht nur ein quantitativer,
sondern ein qualitativer Unterschied besteht, dann fühle ich mich auch nicht
dazu berufen, dir diesen Unterschied zu erklären.
Bei diesem Unterschied sind wir ja auch einer Meinung, er kam jedoch
bisher in Deiner Argumentation nicht vor.
Post by Heinz Schusterhennes
Auch nicht, dass die qualitativen Unterschiede zwischen
Menschensprache und Tiersprache sprachwissenschaftlich eindeutig
geklärt wurden.
Dass es qualitative Unterschiede gibt, habe ich nicht
bestritten. Lediglich Deine Behauptung, dass Tiere nicht symbolisch
kommunizieren können. Es gibt eine ganze Reihe wissenschaftlicher
Publikationen, die sich genau mit Symbolsprache bei Tieren
beschäftigen; da ist Dein Statement

| Sie [die Menschen] lösen diese Gesten aus den situativen Bezügen
| heraus und ersetzen sie durch Zeichen, mit denen sie
| kommunizieren. [...] Auch Tiere, sogar die höher entwickelten,
| lassen sich so nicht analysieren, schon allein darum nicht, weil sie
| nicht zur Handlung befähigt sind. Dazu müssten sie in der Lage sein,
| Erwartungen zu bilden, Mittel zur Zielerreichung auszuwählen und
| sich bewusst Ziele zu setzen. Das aber können sie nicht, die
| niedlichen, süßen Tierlein.

entweder unwissend oder genau diese Publikationen bewusst ignorierend

Es gibt eben durchaus ernstzunehmende Hinweise, dass auch (einige)
Tiere zu zeichenhafter (symbolischer) Kommuniktaion in der Lage sind,
dass auch (einige) Tiere zu Handlungen in der Lage sind usw. Von einer
(im wissenschaftlichen Sinne) seriösen Diskussion würde ich erwarten,
dass man das Vorhandensein dieser Hinweise ernstnimmt und nicht
einfach ignoriert, weil sie den schönen eigenen Gedankengang stören.
Post by Heinz Schusterhennes
EOD
Bitte sehr.
Post by Heinz Schusterhennes
PS: Wenn es dir nur darum geht, den Wissenschaften vom Menschen die
Wissenschaftlichkeit abzusprechen, sobald sie der Versuchung widerstehen,
sich als Naturwissenschaften zu inszenieren, dann sei's drum. Du darfst die
Wissenschaftlichkeit gern für die Naturwissenschaften reklamieren, denn in
diesem Fall erscheint es mir nicht sinnvoll, mich mit dir um des Kaisers
Bart zu streiten.
Worauf bist Du doch gleich so angesprungen?

| "I&O Roeschke" <***@t-online.de> writes:
|> "Heinz Schusterhennes" schrieb:
|>> Von der Geschichtsforschung naturwissenschaftliche Präzision zu
|>> fordern hieße, ihre Abschaffung zu betreiben. [...]
|> So ist das. Sollte man in Stein meißeln.
| Vielleicht sollte man sie auch wirklich abschaffen? Was nutzt mir eine
| "Wissenschaft", wenn nicht mal ihr Wahrheitskriterium klar ist?
| Geschichten erzählen kann man ja trotzdem noch.

Offenbar hat dich das dann doch gestört...

Viele Grüße

Ole
Ole Streicher
2009-02-16 20:29:36 UTC
Permalink
Hallo Heinz,
Auch nicht, dass die ideologische Funktion des Naturalismus darin
besteht, die Menschen auf die immer weiter um sich greifende
Fremdbestimmung einzustimmen mit dem Argument, dass sie ja nichts
Existentes, sondern nur eine Illusion aufzugeben hätten, wenn sie
auf ihren freien Willen verzichten.
Noch ein Nachsatz dazu: Es ist hybsch, Argumente dadurch zu
denunzieren, dass sie eine gewisse "Funktion" hätten. Wenn Du sowas
hier anführst, solltest Du m.E. auch zeigen, dass es diese Funktion
bei mir hat.

Hat es übrigens nicht. Ich kann mit dem Begriff "Illusion" in dem
Zusammenhang nichts anfangen. Es wäre auch widersprüchlich, jemandem
den freien Willen abzusprechen und ihm gleichzeitig einzureden, er
hätte die Möglichkeit (also eine willentliche Wahl), darauf
"verzichten" zu können.

Ich wüsste auch nicht, warum wir eine (im Vergleich zum Stalinismus,
zum Nationalsozialismus, oder auch zur Leibeigenschaft oder zur
Massenproletarisierung des 19./20. Jahrhunderts) "immer weiter um sich
greifende Fremdbestimmung" haben sollten, auf die "einzustimmen" sei.

Tut mir leid, aber der obige Satz von Dir ist Ideologie, Vorurteil und
Unterstellung pur. Es sei denn, Du belegst ihn mit entsprechenden
Publikationen.

Viele Grüße

Ole
I&O Roeschke
2009-02-16 18:21:29 UTC
Permalink
Hallo Ole,
Post by Ole Streicher
Es trifft schon nicht mehr zu, wenn wir beide über I&O Roeschke reden.
Ich werd' euch helfen! :-)
Post by Ole Streicher
Da sind wir beide außen, das können wir objektiv tun.
Reden könnt'r scho, aber mich durch nw-Methoden begreifen?
"Ihr gleicht dem Geist, den ihr begreift, nicht mir." :-)
Post by Ole Streicher
Was meinst Du überhaupt mit "I&O Roeschke ist subjektiv" (Sorry Otto
dass Du hier als Beispiel für einen Dritten herhalten musst) ?
Wenn's der Wahrheitsfindung dient!
Post by Ole Streicher
Wenn ich bei Vögeln Werkzeuggebrauch naturwissenschaftlich
untersuchen kann...........
Dabei kannst du allen Ernstes Werkzeuggebrauch untersuchen?
Staun!
No na, der Napoleon soll ja auch zweierlei Sachen gleichzeitig
habe machen können. Vögeln war wohl nicht dabei! :-)

Ole, mach' uns unsere schöne Naturwissenschaft nicht kaputt
durch einen überdehnten Geltungsanspruch.
Mit den Geisteswissenschaften sollte uns immerhin die
Wahrhaftigkeit bei der Wahrheitssuche mit angemessenen
Methoden verbinden.

Freundlichen Gruß,

Otto
Ole Streicher
2009-02-16 18:38:51 UTC
Permalink
Hallo Otto :-)
Post by I&O Roeschke
Post by Ole Streicher
Da sind wir beide außen, das können wir objektiv tun.
Reden könnt'r scho, aber mich durch nw-Methoden begreifen?
"Ihr gleicht dem Geist, den ihr begreift, nicht mir." :-)
Können wir dich denn durch andere Methoden "begreifen"? Fakt ist,
dass wir über dich oder über andere mit naturwissenschaftlichen
Methoden durchaus relevante Aussagen gewinnen können.
Post by I&O Roeschke
Ole, mach' uns unsere schöne Naturwissenschaft nicht kaputt
durch einen überdehnten Geltungsanspruch.
Ich sehe diese Gefahr erstmal noch nicht.
Post by I&O Roeschke
Mit den Geisteswissenschaften sollte uns immerhin die Wahrhaftigkeit
bei der Wahrheitssuche mit angemessenen Methoden verbinden.
Was versteht man denn unter "Wahrhaftigkeit"?

Viele Grüße

Ole
I&O Roeschke
2009-02-16 19:10:46 UTC
Permalink
Hallo Ole,
Post by Ole Streicher
Können wir dich denn durch andere Methoden "begreifen"? Fakt ist,
dass wir über dich oder über andere mit naturwissenschaftlichen
Methoden durchaus relevante Aussagen gewinnen können.
Über den Organismus OR, ja.
Über die Person OR, nein
Du kannst ja nicht einmal durch.genaueste (bislang eh unmögliche)
Kenntnis der Reaktionszustände all meiner Neuronen im Cortex
etwas über meine Gedanken sagen.
Dabei gehe ich durchaus davon aus, dass Gedanken nicht nur mit
neuronalen Zuständen korrelieren, sondern kausal mit ihnen
verknüpft sind.
Post by Ole Streicher
Post by I&O Roeschke
Mit den Geisteswissenschaften sollte uns immerhin die Wahrhaftigkeit
bei der Wahrheitssuche mit angemessenen Methoden verbinden.
Was versteht man denn unter "Wahrhaftigkeit"?
Dass man nur etwas "wahr" nennt, was man nach bestem Wissen
und Gewissen auch für "wahr" hält.
Damit ist dessen "Wahrheit" zwar noch keineswegs gewiss, eine
Haltung der Wahrhaftigkeit allerdings Voraussetzung für
jegliches wissenschaftliches Arbeiten, gleich auf welchem Gebiet.

Freundlichen Gruß,

Otto
Ole Streicher
2009-02-16 19:25:07 UTC
Permalink
Hallo Otto,
Post by I&O Roeschke
Post by Ole Streicher
Können wir dich denn durch andere Methoden "begreifen"? Fakt ist,
dass wir über dich oder über andere mit naturwissenschaftlichen
Methoden durchaus relevante Aussagen gewinnen können.
Über den Organismus OR, ja.
Über die Person OR, nein
und was konkret nicht?
Post by I&O Roeschke
Du kannst ja nicht einmal durch.genaueste (bislang eh unmögliche)
Kenntnis der Reaktionszustände all meiner Neuronen im Cortex
etwas über meine Gedanken sagen.
Ich kann Dich ja auch als System betrachten und als Ganzes
analysieren. Ob ich das dann in ein neuronales Modell einbette oder in
ganz was anderes ist dann auch nicht wichtig dafür, ob ich
"Naturwissenschaft" betreibe. Naturwissenschaft muss nicht zwingend
reduktionistisch sein.

Viele Grüße

Ole
I&O Roeschke
2009-02-16 20:53:39 UTC
Permalink
Hallo Ole,
Post by Ole Streicher
Post by I&O Roeschke
Fakt ist, dass wir über dich oder über andere mit
naturwissenschaftlichen Methoden durchaus relevante
Aussagen gewinnen können.
Über den Organismus OR, ja.
Über die Person OR, nein
und was konkret nicht?
Na, z.B., wie sich mein erstes Liebeserlebnis (leider schon
länger her) für mich darstellt.
Wohlgemerkt, es geht um *naturwissenschaftliche* Methoden (s.o).
Eine "Befragung des Objekts" kenne ich da nicht.
Paramaecium reagiert da auch äußerst ignorant. :-)

Freundlichen Gruß,

Otto
Arnold Schiller
2009-02-16 23:07:11 UTC
Permalink
Post by I&O Roeschke
Du kannst ja nicht einmal durch.genaueste (bislang eh unmögliche)
Kenntnis der Reaktionszustände all meiner Neuronen im Cortex etwas über
meine Gedanken sagen.
Ich kann Dich ja auch als System betrachten und als Ganzes analysieren.
Du kannst auch die letzten 1000 Postings in de.sci.philosophie durch
einen talking-bot wiedergeben. Ist dann der dann wiedergegebene Inhalt
die Diskussion und deine Meinung die sich darin ebenso befindet, das
gleiche was du gesagt hast oder ist es etwas anderes?

Wäre es dir nun möglich einen talking-bot zu schreiben, der deine und
Heinzens und Ottos Postings vorwegnimmt als Verifizierung der Prognose
über die Behauptung als "System betrachten und als Ganzes".

Wäre es dir also möglich alle Sätze die hier in dsp geschrieben werden,
worden sind usf. vorherzusagen, was genau treiben wir dann hier?

<Day of Tentacle>
Es gibt Tage, da habe ich das Gefühl, dass ein perverser Puppenspieler
mich fernsteuert.
</Day of Tentacle>

Grüße,
Arnold
Ole Streicher
2009-02-17 11:19:58 UTC
Permalink
Hallo Arnold,
Post by Arnold Schiller
Post by I&O Roeschke
Du kannst ja nicht einmal durch.genaueste (bislang eh unmögliche)
Kenntnis der Reaktionszustände all meiner Neuronen im Cortex etwas über
meine Gedanken sagen.
Ich kann Dich ja auch als System betrachten und als Ganzes analysieren.
Du kannst auch die letzten 1000 Postings in de.sci.philosophie durch
einen talking-bot wiedergeben.
Sicher kann man das (versuchen). Aber wozu?
Post by Arnold Schiller
Ist dann der dann wiedergegebene Inhalt die Diskussion und deine
Meinung die sich darin ebenso befindet, das gleiche was du gesagt
hast oder ist es etwas anderes?
Es ist der wiedergegebene Inhalt. Nicht mehr und auch nicht weniger.
Post by Arnold Schiller
Wäre es dir also möglich alle Sätze die hier in dsp geschrieben werden,
worden sind usf. vorherzusagen, was genau treiben wir dann hier?
Für Geschichtswissenschaft wäre erstmal interessant, vorherzusagen,
welche Sätze hier geschrieben *wurden*. Geschichte macht ja keine
Aussagen über die Zukunft, sondern welche über die Vergangenheit.

Also wäre ein sinnvoller Test z.B., den Bot nur mit der Hälfte der
hier getätigten Aussagen zu füttern und den Rest für den Test zu
verwenden. Ich wüsste keinen prinzipiellen Grund, warum das nicht
funktionieren sollte.

Mir ist sehr wohl bewusst, dass es die Falle der Selbstbezüglichkeit
gibt. Die kann man aber durchaus vermeiden, indem man
z.B. Vergangenheit analysiert, oder andere Menschen.
Arnold Schiller
2009-02-18 01:17:55 UTC
Permalink
Hallo Arnold,
Post by Arnold Schiller
Post by I&O Roeschke
Du kannst ja nicht einmal durch.genaueste (bislang eh unmögliche)
Kenntnis der Reaktionszustände all meiner Neuronen im Cortex etwas
über meine Gedanken sagen.
Ich kann Dich ja auch als System betrachten und als Ganzes analysieren.
Du kannst auch die letzten 1000 Postings in de.sci.philosophie durch
einen talking-bot wiedergeben.
Sicher kann man das (versuchen). Aber wozu?
Post by Arnold Schiller
Ist dann der dann wiedergegebene Inhalt die Diskussion und deine Meinung
die sich darin ebenso befindet, das gleiche was du gesagt hast oder ist
es etwas anderes?
Es ist der wiedergegebene Inhalt. Nicht mehr und auch nicht weniger.
Post by Arnold Schiller
Wäre es dir also möglich alle Sätze die hier in dsp geschrieben werden,
worden sind usf. vorherzusagen, was genau treiben wir dann hier?
Für Geschichtswissenschaft wäre erstmal interessant, vorherzusagen, welche
Sätze hier geschrieben *wurden*. Geschichte macht ja keine Aussagen über
die Zukunft, sondern welche über die Vergangenheit.

Also wäre ein sinnvoller Test z.B., den Bot nur mit der Hälfte der hier
getätigten Aussagen zu füttern und den Rest für den Test zu verwenden. Ich
wüsste keinen prinzipiellen Grund, warum das nicht funktionieren sollte.

Mir ist sehr wohl bewusst, dass es die Falle der Selbstbezüglichkeit gibt.
Die kann man aber durchaus vermeiden, indem man z.B. Vergangenheit
analysiert, oder andere Menschen.
Arnold Schiller
2009-02-18 01:19:14 UTC
Permalink
Liest du den fundamentalen Unterschied? Und wenn ja, wodurch glaubst du
kam der zustande? Oder ist es kein Unterschied? Wie dem auch sei - Ja es
war Absicht.
Ole Streicher
2009-02-18 08:03:58 UTC
Permalink
Hallo Arnold,
Post by Arnold Schiller
Liest du den fundamentalen Unterschied?
Der Autor war gefälscht.
Post by Arnold Schiller
Und wenn ja, wodurch glaubst du kam der zustande? Oder ist es kein
Unterschied?
Und? Was hat das mit dem Thema zu tun?
Post by Arnold Schiller
Wie dem auch sei - Ja es war Absicht.
Welche denn?

Viele Grüße

Ole
Arnold Schiller
2009-02-18 19:18:52 UTC
Permalink
Post by Ole Streicher
Hallo Arnold,
Post by Arnold Schiller
Liest du den fundamentalen Unterschied?
Der Autor war gefälscht.
Demzufolge ist jedes Zitat und jede wortgetreue Wiedergabe und auch der
Talkingbot eine Fälschung? Das ist nicht dein Ernst oder?
Post by Ole Streicher
Post by Arnold Schiller
Und wenn ja, wodurch glaubst du kam der zustande? Oder ist es kein
Unterschied?
Und? Was hat das mit dem Thema zu tun?
Alles, weil der Sprecher, ob ich oder der Talkingbot oder du oder Martin
etwas spricht auch zur Bewertung der Aussagen eine Rolle spielt. Martin
antwortete also mir, aber nicht dir. Die Worte stammten von dir und
wurden nur von mir wiederholt. Jetzt ist die Frage, wie du historisch
Martins Irrtum einordenen willst?
Post by Ole Streicher
Post by Arnold Schiller
Wie dem auch sei - Ja es war Absicht.
Welche denn?
Es war Absicht den Sprecher zu ändern. Offensichtlich bin ich nicht
deiner Meinung. Selbst wenn ich die gleichen Worte spreche, wäre es zu
berücksichtigen wer die Worte spricht.
(War das Tellerand? - egal er starb, wer auch immer und einer seiner
Gegner meinte, was er damit bezweckt habe)

Übrigens jeder Newsserver verewigt sich in der Header oben im Pfad und
gibt ansonsten das Posting wortgetreu wieder. Ist die Ändererung des
Pfades nun eine Fälschung? Warum beschwerst du dich dann nicht über jedes
Posting hier, dass es eine Fälschung sei?

Es hätte sich um eine Fälschung handeln können, wenn ich hätte vorgeben
wollen, etwas anderes zu tun, als ich getan habe. Das habe ich aber nicht
getan. Die Änderung des Sprechers kann einen Unterschied darstellen.

Der Satz "Ich habe ihn getötet." ist ja nicht identisch mit dem Satz "Ich
habe ihn getötet." wenn die Sprecher jeweils unterschiedlich sind. Und
unter demselben Aspekt ist jede historische Tatsache zu betrachten.

Deine geliebte Naturwissenschaft hält übrigens auch nur solange, solange
du annehmen kannst, dass die aufgestellten Gesetze in ihrer Gesamtheit
alle wahrhaftig überprüft worden sind. Sollte es da nämlich einen
Geheimbund fälschender Spitzenphysiker im CERN geben, dann könnte kein
Mensch auf der Welt die Wahrheit wirklich überprüfen. Manche Experimente
sind wohl so kostspielig und die Anlagen so einmalig, dass eine
Wiederholung zur Verifizierung nur einer klitzekleinen Menschenschaar
möglich wäre. Das ist ja der Skandal des Jan Hendrik Schön zum Beispiel,
dass er gezeigt hat, dass man schon sau dumme Fehler machen muss, um mit
entsprechenden Fälschungen aufzufallen (hätte er jedesmal eine
handgezeichnete Graphik mitgeliefert die jedesmal unterschiedlich gewesen
wäre, wer weiss, vielleicht wäre es dann nie aufgefallen).

Es besteht schlichtweg nicht die Möglichkeit die gesamte Welt komplett
immer wieder auf das Neue anzuzweifeln. Jeder Zweifel selbst beruht
selbst bereits auf irgendwelchen sprachlichen Gewissheiten und legt damit
selbst wieder Tatsachen zugrunde.

Es ist halt nicht vernünftig eine komplexere Welt anzunehmen, als sie eh
schon ist, aber es ist durchaus möglich, dass alle unsere Naturgesetze
falsch sind. Dafür aber funktionieren sie zu gut, als dass wir das
wirklich glauben wollten, wobei es natürlich kettentechnische
Abhängigkeiten, wo es zu einer Selbstbestätigung kommt, welche ohne die
entsprechenden Vorraussetzungen nicht möglich wären.

Die historischen Tatsachen sind also in gewissen Bereichen fast ebenso
unverrückbar wahr wie naturwissenschaftliche Tatsachen. Ignorierst du das
stehst zu ziemlich schnell vor einem Scherbenhaufen, wo deine ganze
Naturwissenschaft mit in den Bach runter geht. (Was ja Alan Sokal der
Philosophie vorwirft, weil er das Problem imho nicht verstanden hat. Die
Philosophie an sich ist aber unschuldig, sie ist nur der Bote.)

Grüße,
Arnold
Martin Blumentritt
2009-02-18 00:00:00 UTC
Permalink
Es begab sich am 18.02.09, als der/die ehrenwerte schiller
Post by Arnold Schiller
Für Geschichtswissenschaft wäre erstmal interessant, vorherzusagen, welche
Sätze hier geschrieben *wurden*. Geschichte macht ja keine Aussagen über
die Zukunft, sondern welche über die Vergangenheit.
Die Geschichtswissenschaft kann keine Aussagen über die Vergangenheit
machen. Die Vergangenheit ist vergangen. Die Geschichtswissenschaft
hat es mit dem Verhältnis von Vergangenen, Gegenwärtigen und
Zukünftigen zu tun. Die Vergangenheit (res gaestae) ist gar nicht
zugänglich, sondern nur die memoria rerum gestarum oder historia
rerum gestarum. Hermeneutik wird zur Erfahrung, da kein
geschichtliches Datum unmittelbar da ist, sondern erst durch
Hermeneutig erschloßen wird.

Hierbei muß der Historiker selber sich als geschichtlich begreifen.
Er begreift Geschichte aus der Perspektive der Gegenwart. Da er aber
selbst geschichtlich ist, muß er die Gegenwart aus der Perspektive
einer Zukunft, aus der Perspektive vernünftiger Einrichtung der
Menschheit betrachten, also von einem Telos der Geschichte er, das
unverfügbar ist. Geschichte ist ein konstruktiver Reflexionsakt. Die
Wirklichkeit, mit der Historiker zu tun haben, ist die Realität im
zeitlichen Modus der Gegenwart: wirklich ist, was ist, nicht das, was
war. Die Vergangheit ist nicht abgeschlossen.

Darum sind Aufgaben des Historiker u.a. Literaturkritik,
Überlieferungskritik, Heuristik (Erschließung des Quellenmaterials),
Quellenkritik, Auflösung der Widersprüche des Quellenmaterials usw.
In einer antagonistischen Gesellschaft wird es nur aus der
Perspektive einer idealisierten Zukunft überhaupt eine verbindliche
Erkenntnis geben können. Denn - wie man es z.B. am Nationalismus der
Denkform, die das Ideologem "Nation" erfinden, leicht erkennen kann,
haben die Historiker zuweilen auch Interesse an ihrer Dummheit. So
wird Geschichte erfunden, die zur Identifikation zur "Nation" - die
Anführungstriche sind wichtig, um die Virtualität des Sachverhalts
anzudeuten - führen soll.



mit freundlichen Grüßen

Martin Blumentritt
"Dem Markt entgeht keine Theorie mehr: eine jede wird als mögliche unter den
konkurrierenden Meinungen ausgeboten, aller zur Wahl gestellt, alle geschluckt."
(Adorno, Negative Dialektik)
http://www.buchhandel.de/detailansicht.aspx?isbn=978-3-8260-3668-2
Peter Zeller
2009-02-21 12:17:59 UTC
Permalink
Ole Streicher schrieb:

Naturwissenschaft muss nicht zwingend
Post by Ole Streicher
reduktionistisch sein.
Viele Grüße
Ole
Isat das jetzt eine der beliebten Blendgranaten oder wie meinst du das
konkret? Ich frage, weil ich das gern verstehenwürde.

Peter
Ole Streicher
2009-02-21 17:17:54 UTC
Permalink
Hallo Peter,
Post by Peter Zeller
Naturwissenschaft muss nicht zwingend reduktionistisch sein.
Isat das jetzt eine der beliebten Blendgranaten oder wie meinst du das
konkret? Ich frage, weil ich das gern verstehenwürde.
Es ist zwar hübsch, wenn man naturwissenschaftliche Theorien
voneinander ableiten kann (also z.B. aus der Quantenmechanik die
Festkörpertheorie ableitet, oder die Chemie) -- aber diese Ableitung
ist nicht unbedingt notwendig, um Naturwissenschaft zu betreiben. Sie
ist auch sehr problematisch.

Ob man wirklich alle chemischen Theorien zumindest prinzipiell auf die
Physik der Atomhülle zurückführen kann, ist eben unerheblich dafür, ob
die Chemie eine Naturwissenschaft ist. Analog ist es mit der Biologie.

Letztlich war das ein Einwand auf Ottos Bemerkung
Post by Peter Zeller
Post by I&O Roeschke
Du kannst ja nicht einmal durch.genaueste (bislang eh unmögliche)
Kenntnis der Reaktionszustände all meiner Neuronen im Cortex etwas
über meine Gedanken sagen.
Die impliziert bei mir, das eine "naturwissenschaftliche" Behandlung
menschlicher Themen nach seiner Ansicht (oder nach der Ansicht, die er
bei mir vermutet) zwingend eine Zurückführung menschlichen Verhaltens
auf neuronale Vorgänge erfordert, und diese Ansicht ist m.E. falsch.

Daher sagt eine Unmöglichkeit der Ableitung von Reaktionszuständen aus
neuronalen Vorgängen nichts aus darüber, ob man bei "menschliche
Systeme" (Menschen, Menschengruppen, Geschichte usw.)
naturwissenschaftliche Methoden erfolgreich anwenden kann.

Viele Grüße

Ole
Peter Zeller
2009-02-21 18:50:26 UTC
Permalink
Post by Ole Streicher
Hallo Peter,
Ob man wirklich alle chemischen Theorien zumindest prinzipiell auf die
Physik der Atomhülle zurückführen kann, ist eben unerheblich dafür, ob
die Chemie eine Naturwissenschaft ist. Analog ist es mit der Biologie.
Danke. Was ist dann erheblich dafür, daß Chemie eine Naturwissenschaft ist?
Post by Ole Streicher
Letztlich war das ein Einwand auf Ottos Bemerkung
Post by I&O Roeschke
Du kannst ja nicht einmal durch.genaueste (bislang eh unmögliche)
Kenntnis der Reaktionszustände all meiner Neuronen im Cortex etwas
über meine Gedanken sagen.
Die impliziert bei mir, das eine "naturwissenschaftliche" Behandlung
menschlicher Themen
welche Themen?

nach seiner Ansicht (oder nach der Ansicht, die er
Post by Ole Streicher
bei mir vermutet) zwingend eine Zurückführung menschlichen Verhaltens
auf neuronale Vorgänge erfordert, und diese Ansicht ist m.E. falsch.
Daher sagt eine Unmöglichkeit der Ableitung von Reaktionszuständen aus
neuronalen Vorgängen nichts aus darüber, ob man bei "menschliche
Systeme" (Menschen, Menschengruppen, Geschichte usw.)
naturwissenschaftliche Methoden erfolgreich anwenden kann.
Viele Grüße
Ole
Ole Streicher
2009-02-21 21:52:48 UTC
Permalink
Hallo Peter,
Post by Peter Zeller
Post by Ole Streicher
Ob man wirklich alle chemischen Theorien zumindest prinzipiell auf
die Physik der Atomhülle zurückführen kann, ist eben unerheblich
dafür, ob die Chemie eine Naturwissenschaft ist.
Danke. Was ist dann erheblich dafür, daß Chemie eine
Naturwissenschaft ist?
Die angewandte Methodik: Aufstellen von Hypothesen und deren Prüfung
durch Beobachtung bzw. Experiment.

Nach meiner Erfahrung ist das verbunden mit einer gewissen
selbstkritischen Haltung. Man hat als Naturwissenschaftler sehr selten
"seine" These, die man gegen "Angriffe" verteidigen müsste, sondern
man sucht (also seriöser Wissenschaftler) eigentlich immer selbst die
Widerlegung der eigenen Thesen. In der Physik kommt noch eine Trennung
in "theoretische Wissenschaftler" (deren Hauptbefriedigung darin
besteht, allgemeingültige Theorien aufzustellen) und "Experimental-
physiker" (die sich nichts schöneres vorstellen können, als eine große
Theorie experimentell zu widerlegen) dazu.

Diese saubere Trennung von "Theorie" und "Beobachtung" fehlt m.E. in
den meisten Humanwissenschaften, und so richtig konnte mich Heinz
Sch'hannes nicht davon überzeugen, dass das auch richtig und notwendig
ist (wie auch; Arroganz überzeugt selten).
Post by Peter Zeller
Post by Ole Streicher
Post by I&O Roeschke
Du kannst ja nicht einmal durch.genaueste (bislang eh unmögliche)
Kenntnis der Reaktionszustände all meiner Neuronen im Cortex etwas
über meine Gedanken sagen.
Die impliziert bei mir, das eine "naturwissenschaftliche" Behandlung
menschlicher Themen
welche Themen?
Humanwissenschaftliche. Das Ursprungsthema hier waren
Geschichtswissenschaften.

Viele Grüße

Ole
Helga Schulz
2009-02-21 23:44:47 UTC
Permalink
Post by Ole Streicher
Diese saubere Trennung von "Theorie" und "Beobachtung" fehlt m.E. in
den meisten Humanwissenschaften, und so richtig konnte mich Heinz
Sch'hannes nicht davon überzeugen, dass das auch richtig und notwendig
ist (wie auch; Arroganz überzeugt selten).
Ja, es geht aber nicht anders! Du kannst in Geschichte keine
direkten Beobachtungen machen, nur altes Zeugs erschließen, und
das wirst Du nur über eine gewisse Hypothese überhaupt können,
d.h. Du mußt ja schon mit einer halben Theorie rangehen, um
überhaupt was beobachten zu können.
Weiters kannst Du zur Überprüfung einer Hypothese in der
Ernährungswissenschaft nicht 10 Leute in Geiselhaft nehmen und
sie 10 Jahre nur mit Erbsen füttern, um zu sehen, welche Wirkung
ausschließliches Erbsenverzehren auf Menschen hat.
Du kannst auch nicht 2x dieselbe Abstimmung im Parlament
durchlaufen lassen, nur als Test.
Und wenn Du Umfragen bei Leuten machst, mußt Du immer davon
ausgehen, daß sie teilweise Dir zuliebe was anderes sagen als sie
vielleicht zu jemand anders in einer anderen Gesprächssituation
sagen würden.
Das ist schon alles sehr anders als "Ich laß mal 2 Elektronen
aufeinanderknallen und guck, was passiert.".
Ole Streicher
2009-02-22 07:59:31 UTC
Permalink
Hallo Helga,
Post by Helga Schulz
Post by Ole Streicher
Diese saubere Trennung von "Theorie" und "Beobachtung" fehlt m.E. in
den meisten Humanwissenschaften
Ja, es geht aber nicht anders! Du kannst in Geschichte keine
direkten Beobachtungen machen, nur altes Zeugs erschließen, und
das wirst Du nur über eine gewisse Hypothese überhaupt können,
d.h. Du mußt ja schon mit einer halben Theorie rangehen, um
überhaupt was beobachten zu können.
Ja, und? Das ist doch grundsätzlich so. *Jede* Beobachtung (auch in
den Naturwissenschaften) benötigt eine ihr zugrundeliegende Theorie.
Post by Helga Schulz
Weiters kannst Du zur Überprüfung einer Hypothese in der
Ernährungswissenschaft nicht 10 Leute in Geiselhaft nehmen und
sie 10 Jahre nur mit Erbsen füttern, um zu sehen, welche Wirkung
ausschließliches Erbsenverzehren auf Menschen hat.
... weshalb wissenschaftlich haltbare Aussagen über die Wirkung des
ausschließlichen Erbsenverzehrens (mal abgesehen von fehlender
Relevanz) eben auf diese Weise nicht zu gewinnen sind.

Man ist halt immer bschränkt in seinen Möglichkeiten, auch als
Physiker kann man keine Beschleuniger bauen, die wesentlich größer
sind als der gegenwärtige. Daher hat man eben (solange einem keine
bessere Methode einfällt) keine Belege über die Physik bei extrem
hohen Energien.
Post by Helga Schulz
Du kannst auch nicht 2x dieselbe Abstimmung im Parlament
durchlaufen lassen, nur als Test.
Man kann auch nicht den Urknall ein zweites mal ablaufen lassen, nur
als Test.
Post by Helga Schulz
Das ist schon alles sehr anders als "Ich laß mal 2 Elektronen
aufeinanderknallen und guck, was passiert.".
Klar ist es das. Entsprechende Zurückhaltung würde ich bei
humanwissenschaftlichen Aussagen erwarten. Und natürlich das Bemühen,
gemeinsam entsprechende Methoden zu erarbeiten.

Viele Grüße

Ole
Peter Zeller
2009-02-23 09:46:11 UTC
Permalink
Post by Helga Schulz
Post by Ole Streicher
Diese saubere Trennung von "Theorie" und "Beobachtung" fehlt m.E. in
den meisten Humanwissenschaften, und so richtig konnte mich Heinz
Sch'hannes nicht davon überzeugen, dass das auch richtig und notwendig
ist (wie auch; Arroganz überzeugt selten).
Ja, es geht aber nicht anders! Du kannst in Geschichte keine
direkten Beobachtungen machen, nur altes Zeugs erschließen, und
das wirst Du nur über eine gewisse Hypothese überhaupt können,
d.h. Du mußt ja schon mit einer halben Theorie rangehen, um
überhaupt was beobachten zu können.
Weiters kannst Du zur Überprüfung einer Hypothese in der
Ernährungswissenschaft nicht 10 Leute in Geiselhaft nehmen und
sie 10 Jahre nur mit Erbsen füttern, um zu sehen, welche Wirkung
ausschließliches Erbsenverzehren auf Menschen hat.
Du kannst auch nicht 2x dieselbe Abstimmung im Parlament
durchlaufen lassen, nur als Test.
Und wenn Du Umfragen bei Leuten machst, mußt Du immer davon
ausgehen, daß sie teilweise Dir zuliebe was anderes sagen als sie
vielleicht zu jemand anders in einer anderen Gesprächssituation
sagen würden.
Das ist schon alles sehr anders als "Ich laß mal 2 Elektronen
aufeinanderknallen und guck, was passiert.".
Heißt das denn nicht, dass zwischen Naturwissenschaften und
Geisteswissenschaften ein elementarer Unterschied besteht. Ich für mein
Teil halte die Geisteswissenschaften nicht für eine Wissenschaft.
Peter
Helga Schulz
2009-02-28 22:44:58 UTC
Permalink
Post by Peter Zeller
Post by Helga Schulz
Post by Ole Streicher
Diese saubere Trennung von "Theorie" und "Beobachtung" fehlt m.E. in
den meisten Humanwissenschaften, und so richtig konnte mich Heinz
Sch'hannes nicht davon überzeugen, dass das auch richtig und notwendig
ist (wie auch; Arroganz überzeugt selten).
Ja, es geht aber nicht anders! Du kannst in Geschichte keine
direkten Beobachtungen machen, nur altes Zeugs erschließen, und
das wirst Du nur über eine gewisse Hypothese überhaupt können,
d.h. Du mußt ja schon mit einer halben Theorie rangehen, um
überhaupt was beobachten zu können.
Weiters kannst Du zur Überprüfung einer Hypothese in der
Ernährungswissenschaft nicht 10 Leute in Geiselhaft nehmen und
sie 10 Jahre nur mit Erbsen füttern, um zu sehen, welche Wirkung
ausschließliches Erbsenverzehren auf Menschen hat.
Du kannst auch nicht 2x dieselbe Abstimmung im Parlament
durchlaufen lassen, nur als Test.
Und wenn Du Umfragen bei Leuten machst, mußt Du immer davon
ausgehen, daß sie teilweise Dir zuliebe was anderes sagen als sie
vielleicht zu jemand anders in einer anderen Gesprächssituation
sagen würden.
Das ist schon alles sehr anders als "Ich laß mal 2 Elektronen
aufeinanderknallen und guck, was passiert.".
Heißt das denn nicht, dass zwischen Naturwissenschaften und
Geisteswissenschaften ein elementarer Unterschied besteht.
Ja, ist so.
Post by Peter Zeller
Ich für mein
Teil halte die Geisteswissenschaften nicht für eine Wissenschaft.
Das halte ich nun für eine Art, das Kind mit dem Bade
auszuschütten.

Es besteht z.B. ein himmelweiter Unterschied zwischen
Geschichtserzählung und Geschichtswissenschaft - letztere
versucht alles über eine bestimmte Zeit Bekannte in ihrer
Darstellung unterzubringen bzw. die Darstellung so zu fassen, daß
alles Bekannte darin unterkommen kann. Und sie versucht es mit
allen zu Gebote stehenden Mitteln zu überprüfen.
Die Geschichtserzählung nimmt es damit nicht so genau und ist auf
einen erzählerischen Bogen aus.
Karl-Ludwig Diehl
2009-03-01 14:16:27 UTC
Permalink
Post by Helga Schulz
Post by Peter Zeller
Ich für mein
Teil halte die Geisteswissenschaften nicht für eine Wissenschaft.
Das halte ich nun für eine Art, das Kind mit dem Bade
auszuschütten.
Ich halte es für einen guten Witz, wenn jemand meint,
Geisteswissenschaften seien keine Wissenschaft.
Ich empfehle, sich die relevanten Unterschiede klarzumachen.
Stoff gibt es hier genug:
http://groups.google.com/group/wissenschaftstheorie/topics

Man muß sich den Unterschied zwischen systematischen
und historischen Wissenschaften klarmachen.

Man kann sich auch mit der Einteilung von Habermas vertraut
machen, der sehr intelligent analysiert hat:

http://groups.google.com/group/wissenschaftstheorie/browse_thread/thread/7b28540a730704dc#
http://groups.google.com/group/wissenschaftstheorie/browse_thread/thread/b3092065253ef219#
darin:
----------------
Habermas teilt die Wissenschaften in drei Gruppen auf:
"Er unterscheidet "drei Kategorien von Forschungsprozes-
sen" als Gegenstand der
1. empirisch-analytischen Wissenschaften,
2. historisch-hermeneutischen Wissenschaften,
3. kritisch orientierten Wissenschaften (oder systemati-
schen Handlungswissenschaften).
Diesen drei Wissenschaftsrichtungen ordnet er jeweils ein
"Erkenntnisinteresse" zu:
1. das technische (den empirisch-analytischen Wissen-
schaften),
2. das praktische (den historisch-hermeneutischen Wis-
senschaften),
3. das emanzipatorische (den kritisch orientierten Wissen-
schaften)." (11)
---------------------------
Post by Helga Schulz
Es besteht z.B. ein himmelweiter Unterschied zwischen
Geschichtserzählung und Geschichtswissenschaft - letztere
versucht alles über eine bestimmte Zeit Bekannte in ihrer
Darstellung unterzubringen bzw. die Darstellung so zu fassen, daß
alles Bekannte darin unterkommen kann. Und sie versucht es mit
allen zu Gebote stehenden Mitteln zu überprüfen.
Die Geschichtserzählung nimmt es damit nicht so genau und ist auf
einen erzählerischen Bogen aus.
Geschichte ist halt das, was real stattgefunden hat. Diesen
Ablauf rekonstruieren zu wollen, macht einige Mühe. Die wiss.Ver-
fahren (Hermeneutik und Dialektik) sind aber so gehalten,
daß doch sehr viel Qualität in der Aufarbeitung zustande kommen
kann.

K.L.
Ole Streicher
2009-03-01 14:52:52 UTC
Permalink
Hallo Karl-Ludwig,
Post by Karl-Ludwig Diehl
"Er unterscheidet "drei Kategorien von Forschungsprozes-
sen" als Gegenstand der
1. empirisch-analytischen Wissenschaften,
2. historisch-hermeneutischen Wissenschaften,
3. kritisch orientierten Wissenschaften (oder systemati-
schen Handlungswissenschaften).
Wozu gehört dann die Kosmologie? Nach der Einteilung wäre sie wohl der
2. Gruppe zuzuschreiben.
Post by Karl-Ludwig Diehl
Geschichte ist halt das, was real stattgefunden hat. Diesen
Ablauf rekonstruieren zu wollen, macht einige Mühe. Die wiss.Ver-
fahren (Hermeneutik und Dialektik) sind aber so gehalten,
daß doch sehr viel Qualität in der Aufarbeitung zustande kommen
kann.
In der Kosmologie ist man aber "empirisch-analytisch" recht
erfolgreich. Eine Ausnahme?

Viele Grüße

Ole
Karl-Ludwig Diehl
2009-03-02 14:44:26 UTC
Permalink
Hallo Ole,
Post by Ole Streicher
Post by Karl-Ludwig Diehl
"Er unterscheidet "drei Kategorien von Forschungsprozes-
sen" als Gegenstand der
1. empirisch-analytischen Wissenschaften,
2. historisch-hermeneutischen Wissenschaften,
3. kritisch orientierten Wissenschaften (oder systemati-
schen Handlungswissenschaften).
Wozu gehört dann die Kosmologie? Nach der Einteilung wäre sie wohl der
2. Gruppe zuzuschreiben.
Ich würde sie der 1.Gruppe zuteilen.
Post by Ole Streicher
Post by Karl-Ludwig Diehl
Geschichte ist halt das, was real stattgefunden hat. Diesen
Ablauf rekonstruieren zu wollen, macht einige Mühe. Die wiss.Ver-
fahren (Hermeneutik und Dialektik) sind aber so gehalten,
daß doch sehr viel Qualität in der Aufarbeitung zustande kommen
kann.
In der Kosmologie ist man aber "empirisch-analytisch" recht
erfolgreich. Eine Ausnahme?
Ich sah bei wikipedia nach:
"Die Kosmologie (griechisch κοσμολογία – hier: die Lehre von der
Welt)
beschäftigt sich mit dem Ursprung und der Entwicklung des Universums
(Kosmos) als Ganzem und ist damit ein Teilgebiet sowohl der Physik
als auch der Philosophie. Ihren Ursprung hat die Kosmologie im
mythischen und religiösen Bereich (siehe auch Schöpfung und
Eschatologie).
Die physikalische Kosmologie versucht, das Universum mittels
physikalischer Gesetzmäßigkeiten zu beschreiben." aus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kosmologie

Wenn man das überschaut, läßt sie sich in die 1. und 2.Gruppe
zuteilen. Falls Handlungsbedarf besteht, also die Kosmologie dazu
dienen soll, Gesellschaft aufzuklären und zu verändern, kannst
Du sie getrost auch der 3.Gruppe zuordnen.

Die Einteilungen gehen vom jeweiligen Erkenntnisinteresse aus.
Das kann bei jeder Disziplin durch das Aufgabenfeld, das gerade
ansteht, sehr verschieden sein. Wie man sehen kann, hat sich
das Erkenntnisinteresse innerhalb der Kosmologie deutlich ver-
ändert und als Spektrum aufgeweitet. Es mag Leute geben, die
die Altanteile dessen, was Kosmologie war, auch heute noch gerne
betreiben.

Ich glaube Dilthey hatte die Einteilung in Naturwissenschaft und
Geisteswissenschaft sehr trennscharf erzeugt, obwohl das
Wort älter ist. Eben sah ich nach, damit es nicht nur aus der
Erinnerung geschrieben ist:
"Der Ausdruck „Geisteswissenschaft“ bekommt seine Prägnanz
wesentlich durch Wilhelm Dilthey (Einleitung in die Geistes-
wissenschaften, 1883) und ist eng mit den politischen und
universitären Voraussetzungen im deutschen Sprachgebiet
verbunden. /.../
Dilthey definierte die Geisteswissenschaften in scharfer
Entgegensetzung zu den Naturwissenschaften durch die
ihnen eigene Methode des Verstehens, wie sie als Herme-
neutik seit Schleiermacher auch außerhalb der Philologie
gebräuchlich geworden war. Dilthey suchte sie als „Erfah-
rungswissenschaft der geistigen Erscheinungen“ bezie-
hungsweise als „Wissenschaft der geistigen Welt“ zu be-
gründen. Sie sollte eine ursprünglich konzipierte „Kritik
der historischen Vernunft“ empirisch erweitern."
http://de.wikipedia.org/wiki/Geisteswissenschaft

Die Einteilung in systematische und historische Wissen-
schaften gefällt mir irgendwie besser.

Die Dreiheit von Habermas scheint mir aber auch sehr
plausible zu sein.

K.L.

Heinz Schusterhennes
2009-02-22 07:46:14 UTC
Permalink
Am Sat, 21 Feb 2009 22:52:48 +0100 schrieb Ole Streicher:

..
Diese saubere Trennung von "Theorie" und "Beobachtung" fehlt m.E. in den
meisten Humanwissenschaften, und so richtig konnte mich Heinz Sch'hannes
nicht davon überzeugen, dass das auch richtig und notwendig ist (wie
auch; Arroganz überzeugt selten).
Du hast du recht. Aber hartnäckig Ignorante lassen sich weder mit
Arroganz, noch mit Bescheidenheit überzeugen.

Gruß
Heinz
--
http://blog.ppsk.de
Ole Streicher
2009-02-22 08:04:24 UTC
Permalink
Hallo Heinz,
Post by Heinz Schusterhennes
Diese saubere Trennung von "Theorie" und "Beobachtung" fehlt m.E. in den
meisten Humanwissenschaften, und so richtig konnte mich Heinz Sch'hannes
nicht davon überzeugen, dass das auch richtig und notwendig ist (wie
auch; Arroganz überzeugt selten).
Du hast du recht. Aber hartnäckig Ignorante lassen sich weder mit
Arroganz, noch mit Bescheidenheit überzeugen.
Du hast mir aber nicht Ignoranz vorgeworfen (an welcher Stelle habe
ich denn ein Argument von Dir einfach ignoriert?), sondern bodenlose
Unwissenheit:

| mir ist es zu zeitaufwendig, diese Diskussion weiterzuführen, da ich
| hier offenbar zunächst die allergrundlegendsten Grundlagen
| einzuführen hätte.

Viele Grüße

Ole
Heinz Blüml
2009-02-17 06:15:20 UTC
Permalink
On Mon, 16 Feb 2009 20:10:46 +0100, "I&O Roeschke"
Post by Heinz Schusterhennes
Hallo Ole,
Post by Ole Streicher
Können wir dich denn durch andere Methoden "begreifen"? Fakt ist,
dass wir über dich oder über andere mit naturwissenschaftlichen
Methoden durchaus relevante Aussagen gewinnen können.
Über den Organismus OR, ja.
Über die Person OR, nein
Du kannst ja nicht einmal durch.genaueste (bislang eh unmögliche)
Kenntnis der Reaktionszustände all meiner Neuronen im Cortex
etwas über meine Gedanken sagen.
Dabei gehe ich durchaus davon aus, dass Gedanken nicht nur mit
neuronalen Zuständen korrelieren, sondern kausal mit ihnen
verknüpft sind.
Post by Ole Streicher
Post by I&O Roeschke
Mit den Geisteswissenschaften sollte uns immerhin die Wahrhaftigkeit
bei der Wahrheitssuche mit angemessenen Methoden verbinden.
Was versteht man denn unter "Wahrhaftigkeit"?
Dass man nur etwas "wahr" nennt, was man nach bestem Wissen
und Gewissen auch für "wahr" hält.
Damit ist dessen "Wahrheit" zwar noch keineswegs gewiss, eine
Haltung der Wahrhaftigkeit allerdings Voraussetzung für
jegliches wissenschaftliches Arbeiten, gleich auf welchem Gebiet.
Freundlichen Gruß,
Otto
Peter Zeller
2009-02-21 12:12:53 UTC
Permalink
Post by I&O Roeschke
Post by Ole Streicher
Was versteht man denn unter "Wahrhaftigkeit"?
Dass man nur etwas "wahr" nennt, was man nach bestem Wissen
und Gewissen auch für "wahr" hält.
Damit ist dessen "Wahrheit" zwar noch keineswegs gewiss, eine
Haltung der Wahrhaftigkeit allerdings Voraussetzung für
jegliches wissenschaftliches Arbeiten, gleich auf welchem Gebiet.
Freundlichen Gruß,
Otto
Hallo, Otto

das ist sehr schön und entspricht dem, was wir Naturwissenschaftler
gelernt haben, nämlich daß all unser vermeintlich gesichertes Wissen die
Möglichkeit des Irrtums beinhaltet, in manchen Bereichen mehr, in
anderen weniger.Unverändert meine ich, daß Popper das am schönsten
gezeigt hat.

Gruß
Peter
I&O Roeschke
2009-02-26 17:01:43 UTC
Permalink
Hallo Peter,

"Peter Zeller" schrieb:

[wahr; wahrhaftig]
das ......... entspricht dem, was wir Naturwissenschaftler gelernt haben,
nämlich daß all unser vermeintlich gesichertes Wissen die Möglichkeit des
Irrtums beinhaltet, in manchen Bereichen mehr, in anderen weniger.
Nach Tarski gilt

"x(p) ist wahr und nur dann wahr, wenn p".

Was es mit 'p' auf sich hat, versuchen Naturwissenschaftler
*empirisch* herauszufinden. Geht bei relativ "einfachen" Objekten,
von Quarks bis Affen, mit List und Tücke (==> Theorie) so
einigermaßen, wenn auch nicht absolut.
Geht, wenn das Objekt der Mensch ist (nicht als Organismus,
sondern als *Person*, als *Gesellschaftswesen*), wie es
für die Geisteswissenschaften gilt, nur mit beträchtlicher
Einschränkung deshalb, weil wir keinen direkten Zugang zum
Fremdpsychischen haben. Die Umrisse von 'p' bleiben daher
oft unscharf, zumindest weniger scharf als in den NW.
Du neigst deshalb dazu, den GW gar die Wissenschaftlichkeit
abzusprechen. Dem folge ich nicht; obwohl die anglo-amerikanische
Unterscheidung zwischen "science" subjects und "arts" subjects
ihre Gründe hat.

Freut mich, wieder mal von dir gehört zu haben.

Freundlichen Gruß,

Otto
I&O Roeschke
2009-02-16 15:29:59 UTC
Permalink
Post by Heinz Schusterhennes
PS: Lieber Otto, nett, dass du meine Ausführungen in
Stein meißeln willst.
You're welcome!
Post by Heinz Schusterhennes
Wann und wo wird die Tafel enthüllt?
Nahe des Olymp. In unmittelbarer Gipfelnähe.
Wird Späteren die empirische Ermittlung der kognitiven
Fähigkeiten von uns Vorläufigen ermöglichen. :-)
Post by Heinz Schusterhennes
Bitte meinen Namen richtig schreiben, nicht "Crash".
...türlich nicht, lieber Heinz. That goes without saying.

Freundlichen Gruß,

Otto
klaus.roggendorf051254283
2009-02-20 16:47:33 UTC
Permalink
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Ole Streicher
Hallo Otto, Heinz,
Von der Geschichtsforschung naturwissenschaftliche Präzision zu
fordern hieße, ihre Abschaffung zu betreiben. Dies würde aber
bedeuten, ihre Aufgabe und Funktion misszuverstehen. Dies gilt für
alle Wissenschaften vom Menschen.
So ist das. Sollte man in Stein meißeln.
Vielleicht sollte man sie auch wirklich abschaffen? Was nutzt mir eine
"Wissenschaft", wenn nicht mal ihr Wahrheitskriterium klar ist?
Geschichten erzählen kann man ja trotzdem noch.
Lieber Ole,
Die Wissenschaften von Menschen haben ein Objekt, das es in der Natur
sonst nicht gibt, nämlich das Selbst.
Während beispielsweise ein Element ein Element ist, unabhängig von den
Meinungen der Subjekte - ist es dem Selbst gerade eigentümlich, dass
bestimmte Probleme für es von Bedeutung sind. Dies heißt auch, dass es
kein Selbst ohne Sprache und Sprachgemeinschaft gibt. Daher kann ein
Selbst nicht als unabhängig von dem konzipiert werden, was Subjekte über
es meinen. Und so ist der Mensch kein Objekt wie andere Naturgegenstände.
Daraus folgt eigentlich zwingend, dass die Kriterien für die Wahrheit von
Aussagen über Menschen und deren Geschick sich fundamental von den
Kriterien unterscheiden müssen, an denen wir naturwissenschaftliche
Aussagen messen.
In einem anderen Post hast du nun Objekte angeführt, die angeblich, so
deine Sicht, die gleiche Funktion erfüllen könnten wie die objektiven
Resultate eines naturwissenschaftlichen Experiments.
Du meintest, dass Geschichtswissenschaftler ähnlich wie
Naturwissenschaftler vorhersagen könnten und müssten, wann und wo ein
Objekt zum Beleg einer historischen These auftauchen und welche
Eigenschaften es haben müsste.
Du hast hier offenbar eine falsche Vorstellung von den Objekten, mit
denen die Humanwissenschaften umgehen. Dass ein Selbst-Objekt
unvergleichlich ist, habe ich bereits erläutert. Dies gilt aber auch für
alle Objekte, die von Menschen geschaffen wurden. Denn diese sind
Bedeutungsträger. Nimm beispielsweise eine Akte zum Beleg einer
historischen These. Diese Akte ist ein System von Bedeutungen. Doch mehr
als das. Sie kann auch unterschiedlich interpretiert werden. Dies ist
unvermeidlich. Denn die Interpretation hängt immer vom Kontext ab. Den
Kontext der Bedeutung der von Menschen geschaffenen Objekte finden wir
aber in der Natur nicht vor, wir konstruieren ihn. Der Natur wohnt kein
spezifischer Kontext menschlicher Bedeutungen inne. Wir tragen die
Kontexte vielmehr an die Natur heran. Und keiner dieser Kontexte ist
logisch gegenüber anderen ausgezeichnet. Welcher aber empirisch
ausgezeichnet sei, ist eine Frage von konstruierten Maßstäben, die offen
sind für Diskussionen.
Daher sind die Wissenschaften vom Menschen Diskussionswissenschaften, in
denen Wirklichkeitsmodelle miteinander verglichen, ihre Implikationen und
Voraussetzungen disputiert werden.
Wahrheit im Sinne naturwissenschaftlicher Forschung vermögen die
Wissenschaften vom Menschen nicht hervorzubringen.
Wieso nicht?

Interessant für viele Mitleser wäre Dein differenzierender Wahrheitsbegriff.

Was unterscheidet denn formal und inhaltich naturwissenschaftliche
von anderen Wahrheiten?


Gruß
Klaus
Heinz Schusterhennes
2009-02-20 19:33:37 UTC
Permalink
Am Fri, 20 Feb 2009 17:47:33 +0100 schrieb klaus.roggendorf051254283:

...
Post by klaus.roggendorf051254283
Post by Heinz Schusterhennes
Wahrheit im Sinne naturwissenschaftlicher Forschung vermögen die
Wissenschaften vom Menschen nicht hervorzubringen.
Wieso nicht?
Interessant für viele Mitleser wäre Dein differenzierender
Wahrheitsbegriff.
Was unterscheidet denn formal und inhaltich naturwissenschaftliche von
anderen Wahrheiten?
Wahrheit ist die Übereinstimmung zwischen einer Aussage und einem
Sachverhalt.
Beispiel: Auf dem Tisch befindet sich ein Klumpen Blei. der 1 kg wiegt.
Diesen Satz kann ich mit naturwissenschaftlichen Mitteln überprüfen.

Das geht so nicht in den Wissenschaften vom Menschen.

Beispiel: Vor mir sitzt ein Mensch, der ein Vorurteil gegenüber
Philosophen hat.

Diesen Satz kann ich weder mit naturwissenschaftlichen, noch mit anderen
Mitteln im Sinne eines Wahrheitsbeweises überprüfen.

Hier muss ich in einen Dialog mit dem Menschen eintreten, der eventuell
zu einem Konsens führt. Ja, sagt der Mensch, stimmt: Ich habe ein
Vorurteil gegenüber Philosophen. Oder er überzeugt mich und ich sage:
Nein, ich habe mich geirrt: Diesem Menschen sind Vorurteile gegenüber
Philosophen fremd.

Dies ist auch eine Wahrheit - in dem Sinne, dass es die höchste
Übereinstimmung in diesem Bereich ist, zu der wir Menschen in der Lage
sind. Aber es ist keine Wahrheit im naturwissenschaftlichen Sinne.

Gruß
Heinz

PS: Immer dann, wenn naturwissenschaftliche Aussagen über Menschen
gemacht werden, dann handelt es sich um Abstraktionen vom Menschlichen.
Dies gilt natürlich auch, weil darüber hier gerade diskutiert wird, für
psychiatrische Diagnosen mit naturwissenschaftlichem, sprich
neurophysiologischem Anspruch.
--
http://blog.ppsk.de
klaus.roggendorf051254283
2009-02-21 07:45:33 UTC
Permalink
Post by Heinz Schusterhennes
...
Post by klaus.roggendorf051254283
Post by Heinz Schusterhennes
Wahrheit im Sinne naturwissenschaftlicher Forschung vermögen die
Wissenschaften vom Menschen nicht hervorzubringen.
Wieso nicht?
Interessant für viele Mitleser wäre Dein differenzierender
Wahrheitsbegriff.
Was unterscheidet denn formal und inhaltlich naturwissenschaftliche von
anderen Wahrheiten?
Wahrheit ist die Übereinstimmung zwischen einer Aussage und einem
Sachverhalt.
Beispiel: Auf dem Tisch befindet sich ein Klumpen Blei. der 1 kg wiegt.
Diesen Satz kann ich mit naturwissenschaftlichen Mitteln überprüfen.
Das geht so nicht in den Wissenschaften vom Menschen.
Natürlich geht das so, nur ist Überprüfung sehr viel komplexer.
Post by Heinz Schusterhennes
Beispiel: Vor mir sitzt ein Mensch, der ein Vorurteil gegenüber
Philosophen hat.
Diesen Satz kann ich weder mit naturwissenschaftlichen, noch mit anderen
Mitteln im Sinne eines Wahrheitsbeweises überprüfen.
Faktorenanalytisch z.B. geht das schon. Alltagsvorurteile lassen sich leicht überprüfen,
wenn sie selbst und deren Bedingungen definiert sind.
Jemand wird gewalttätig gegen Philosophen, sobald er erfährt, dass er es
mit einem solchen zu tun hat. Da erübrigt sich jeder Dialog,-)
Post by Heinz Schusterhennes
Hier muss ich in einen Dialog mit dem Menschen eintreten, der eventuell
zu einem Konsens führt. Ja, sagt der Mensch, stimmt: Ich habe ein
Nein, ich habe mich geirrt: Diesem Menschen sind Vorurteile gegenüber
Philosophen fremd.
Dies ist auch eine Wahrheit - in dem Sinne, dass es die höchste
Übereinstimmung in diesem Bereich ist, zu der wir Menschen in der Lage
sind. Aber es ist keine Wahrheit im naturwissenschaftlichen Sinne.
Selbst die naturwissenschaftliche Wahrheit und die
Wahrheit an sich sind an Bedingungen und deren Relationen gebunden.
Post by Heinz Schusterhennes
PS: Immer dann, wenn naturwissenschaftliche Aussagen über Menschen
gemacht werden, dann handelt es sich um Abstraktionen vom Menschlichen.
Dies gilt natürlich auch, weil darüber hier gerade diskutiert wird, für
psychiatrische Diagnosen mit naturwissenschaftlichem, sprich
neurophysiologischem Anspruch.
Eben,..., weil sie die Diagnose naturwissenschaftlich begründen
und bestätigen können.

Gruß
Klaus
Heinz Schusterhennes
2009-02-21 08:31:09 UTC
Permalink
Post by klaus.roggendorf051254283
Post by Heinz Schusterhennes
Diesen Satz kann ich weder mit naturwissenschaftlichen, noch mit anderen
Mitteln im Sinne eines Wahrheitsbeweises überprüfen.
Faktorenanalytisch z.B. geht das schon. Alltagsvorurteile lassen sich
leicht überprüfen,
wenn sie selbst und deren Bedingungen definiert sind.
Jemand wird gewalttätig gegen Philosophen, sobald er erfährt, dass er es
mit einem solchen zu tun hat. Da erübrigt sich jeder Dialog,-)
Faktorenanalytisch kann man das allein schon darum nicht überprüfen, weil
die Faktorenanalyse Aussagen über Aggregate macht, die hier zu überprüfende
Aussage sich aber auf einen Einzelnen bezieht. Überdies ist aus methodischen
Gründen zweifelhaft, ob man die Faktorenanalyse überhaupt zur Überprüfung
von Hypothesen einsetzen kann. Die zahllosen methodischen Probleme der
Faktorenanalyse zu diskutieren, wäre hier aber nicht der richtige Ort. Es
ist auch unerheblich für die Fragestellung. Sicher ist aber, dass
Faktorenstrukturen beispielsweise von Einstellungen, gewonnen an
aggregierten Daten, nicht die Einstellungsstrukturen beim Einzelnen
widerspiegeln, Das ist faktorenanalytische Mystik.
Natürlich kann man versuchen, Einstellungen über Verhalten zu erchließen,
allerdings zeigt die empirische Forschung, dass die entsprechenden
Korrelationen recht niedrig sind. Die scheinst aber eine 1:1-Beziehung
zwischen Einstellung und Verhalten anzunehmen. Diese Annahme ist empirisch
nicht gerechtfertigt.
In deinem obigen Beispiel kann du gar nicht wissen, warum besagte Person
immer dann, wenn sie erfährt, dass ein Mensch Philosoph sei, gewalttätig
gegen diesen angeblichen Philosophen wird. Dies mag zwar auf ein Vorurteil
gegenüber Philosophen zurückzuführen sein. Dies kannst du aber aus dem
Verhalten nicht erschließen. Ein Vorurteil ist eine komplexe kognitive
Struktur, auch wenn sie auf Fehlschlüssen beruhen mag. Aggressives Verhalten
muss aber keineswegs immer auf komplexen kognitiven Strukturen beruhen. Im
Extremfall hat der Mensch überhaupt keine Meinung gegenüber Philosophen und
gehorcht nur sklavisch oder soldatisch einem Befehl, Philosophen zu
schlagen - einem Befehl, den er von Menschen erhalten hat, die Macht über
ihn ausüben und die vielleicht Vorurteile gegenüber Philosophen haben. Es
ist ja auch keineswegs so, dass Soldaten, die im Krieg immer dann aggressiv
werden, wenn sie einen Menschen als Feind identifizieren, deswegen ein
Voruteil gegen diesen Feind haben müssten.
...
Post by klaus.roggendorf051254283
Post by Heinz Schusterhennes
PS: Immer dann, wenn naturwissenschaftliche Aussagen über Menschen
gemacht werden, dann handelt es sich um Abstraktionen vom Menschlichen.
Dies gilt natürlich auch, weil darüber hier gerade diskutiert wird, für
psychiatrische Diagnosen mit naturwissenschaftlichem, sprich
neurophysiologischem Anspruch.
Eben,..., weil sie die Diagnose naturwissenschaftlich begründen
und bestätigen können.
Nein, das können sie eben nicht, weil die Diagnosen auf Werturteilen
beruhen - und Werte sind keine Naturgegenstände. Darum sind sie auch nicht
Gegenstände der Naturwissenschaften. Weil sie keine Gegenstände der
Naturwissenschaften sind, können die Naturwissenschaften auch keine
Werturteile begründen. Werte sind Momente der menschlichen Identität.
Menschliche Identität aber entzieht sich dem naturwissenschaftlichen
Zugriff. Das Scheitern der Sozio-Biologie ist ja geade auf die
Unmöglichkeit zurückzuführen, Werte zu biologisieren und menschliche
Identität.

Gruß
Heinz
klaus.roggendorf051254283
2009-02-21 15:03:33 UTC
Permalink
Post by klaus.roggendorf051254283
Post by Heinz Schusterhennes
Wahrheit im Sinne naturwissenschaftlicher Forschung vermögen die
Wissenschaften vom Menschen nicht hervorzubringen.
Wieso nicht?
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Heinz Schusterhennes
Diesen Satz kann ich weder mit naturwissenschaftlichen, noch mit anderen
Mitteln im Sinne eines Wahrheitsbeweises überprüfen.
Natürlich geht das so, nur ist Überprüfung sehr viel komplexer.
Post by klaus.roggendorf051254283
Post by Heinz Schusterhennes
Faktorenanalytisch z.B. geht das schon. Alltagsvorurteile lassen sich leicht überprüfen,
wenn sie selbst und deren Bedingungen definiert sind.
Jemand wird gewalttätig gegen Philosophen, sobald er erfährt, dass er es
mit einem solchen zu tun hat. Da erübrigt sich jeder Dialog,-)
Faktorenanalytisch kann man das allein schon darum nicht überprüfen, weil die Faktorenanalyse
Aussagen über Aggregate macht, die hier zu überprüfende Aussage sich aber auf einen Einzelnen
bezieht. Überdies ist aus methodischen Gründen zweifelhaft, ob man die Faktorenanalyse überhaupt
zur Überprüfung von Hypothesen einsetzen kann. Die zahllosen methodischen Probleme der
Faktorenanalyse zu diskutieren, wäre hier aber nicht der richtige Ort. Es ist auch unerheblich für
die Fragestellung. Sicher ist aber, dass Faktorenstrukturen beispielsweise von Einstellungen,
gewonnen an aggregierten Daten, nicht die Einstellungsstrukturen beim Einzelnen widerspiegeln, Das
ist faktorenanalytische Mystik.
Die Faktorenanalyse war nur beispielhaft erwähnt - sie ist besonders
von den richtigen Fragestellungen abhängig...
Der Methoden gibt es viele und allein die werbepsychologischen
haben sich als besonders erfolgreich erwiesen.
Post by klaus.roggendorf051254283
Natürlich kann man versuchen, Einstellungen über Verhalten zu erchließen, allerdings zeigt die
empirische Forschung, dass die entsprechenden Korrelationen recht niedrig sind. Die scheinst aber
eine 1:1-Beziehung zwischen Einstellung und Verhalten anzunehmen. Diese Annahme ist empirisch
nicht gerechtfertigt.
Lassen wir `s beim Schein,-)
In deinem obigen Beispiel kann du gar nicht wissen, warum besagte Person immer dann, wenn sie
erfährt, dass ein Mensch Philosoph sei, gewalttätig gegen diesen angeblichen Philosophen wird.
Dies mag zwar auf ein Vorurteil gegenüber Philosophen zurückzuführen sein. Dies kannst du aber aus
dem Verhalten nicht erschließen. Ein Vorurteil ist eine komplexe kognitive Struktur, auch wenn sie
auf Fehlschlüssen beruhen mag.
Auch andere Tiere können irren.,-)
Aggressives Verhalten muss aber keineswegs immer auf komplexen kognitiven Strukturen beruhen. Im
Extremfall hat der Mensch überhaupt keine Meinung gegenüber Philosophen und gehorcht nur sklavisch
oder soldatisch einem Befehl, Philosophen zu schlagen - einem Befehl, den er von Menschen erhalten
hat, die Macht über ihn ausüben und die vielleicht Vorurteile gegenüber Philosophen haben. Es ist
ja auch keineswegs so, dass Soldaten, die im Krieg immer dann aggressiv werden, wenn sie einen
Menschen als Feind identifizieren, deswegen ein Voruteil gegen diesen Feind haben müssten.
Aggressives Verhalten ist auch bei Hunden ähnlich
komplex und analytisch schwer zu klären -
sie liegen auf der Couch nicht ruhig.))
Post by klaus.roggendorf051254283
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Heinz Schusterhennes
PS: Immer dann, wenn naturwissenschaftliche Aussagen über Menschen
gemacht werden, dann handelt es sich um Abstraktionen vom Menschlichen.
Dies gilt natürlich auch, weil darüber hier gerade diskutiert wird, für
psychiatrische Diagnosen mit naturwissenschaftlichem, sprich
neurophysiologischem Anspruch.
Eben,..., weil sie die Diagnose naturwissenschaftlich begründen
und bestätigen können.
Nein, das können sie eben nicht, weil die Diagnosen auf Werturteilen beruhen - und Werte sind
keine Naturgegenstände.
Ich bezog mich auf Diagnosen, die auf neurophysiologischen
Erkenntnissen und Verfahren beruhen.


Wieso sollten Werte keine Naturgegenstände sein?
Darum sind sie auch nicht Gegenstände der Naturwissenschaften. Weil sie keine Gegenstände der
Naturwissenschaften sind, können die Naturwissenschaften auch keine Werturteile begründen. Werte
sind Momente der menschlichen Identität. Menschliche Identität aber entzieht sich dem
naturwissenschaftlichen Zugriff. Das Scheitern der Sozio-Biologie ist ja geade auf die
Unmöglichkeit zurückzuführen, Werte zu biologisieren und menschliche Identität.
Deine Behauptung ist eine Negation der Wirklichkeit s.u.*

Die Werte sind die Bedingung für das Wertvollsein der Objekte/
Naturgegenstände, deren Wesenheit wir zu ergründen suchen,
um ihren Wert zu ermessen..

Erkenntnisbeweise haben höchsten Wert für alle Gegenstände
der Naturwissenschaften, weil sie deren Wesenheit, Eigenschaften und
Relationen - auch ethisch und identitätsbildend - bewahrheiten.

Ich halte den " Geist des Menschen", sein Bewußtsein und die
Werte für die wichtigsten Naturgegenstände alltäglicher
und philosphischer Betrachtung sowie deren Abtrennung von der
Natur für verhängnisvoll und deshalb geradezu für pervers.
Pervers, weil der Mensch seine unbewußten Antriebe - naiv bis
bewußt ignorant - beinahe ungebremst (evolutiv-pubertierend)
maßlos kurzsichtig und risikoblind auslebt und dabei töricht die
auch die eigenen Lebensbedingungen rücksichtslos zerstört.

Der Mensch wird erst zum homo sapiens, wenn er die sich selbst
angemaßten, selbst-überhobenen Wert- und Würdeansprüche
vernünftig und verantwortungsvoll erfüllt, indem er seine unbewußten
Antriebe bewußt - nachhaltig lebensförderlich - reflektiert und
kontrolliert.*


Gruß
Klaus
Hubert Hövelborn
2009-02-21 16:06:29 UTC
Permalink
Post by klaus.roggendorf051254283
Die Werte sind die Bedingung für das Wertvollsein der Objekte
Dass das völliger Unsinn ist, sieht man, wenn Immobilienwerte
in sich zusammenfallen, obwohl die Immobilien alle noch un-
versehrt da sind. Gebäude, die niemand nutzen kann oder will,
sind wertlos. Das einige, was dann voll ist, sind diejenigen, die
sich darob besaufen.

Mit freundlichen Grüßen

Hubert
Peter Zeller
2009-02-21 17:02:55 UTC
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Post by Heinz Schusterhennes
Wissenschaften vom Menschen
Was unfassen diese genau?
Peter Zeller
2009-02-21 16:59:57 UTC
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Post by Heinz Schusterhennes
Lieber Ole,
Die Wissenschaften von Menschen haben ein Objekt, das es in der Natur
sonst nicht gibt, nämlich das Selbst.
Mir ist nicht klar, was die 'Wissenschaften von Menschen' konkret heißen
soll.
Bitte um Aufklärung.
Post by Heinz Schusterhennes
Gruß
Heinz
Gruß
Peter
Kid
2009-02-16 00:34:00 UTC
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Post by I&O Roeschke
Von der Geschichtsforschung naturwissenschaftliche Präzision
zu fordern hieße, ihre Abschaffung zu betreiben. Dies würde
aber bedeuten, ihre Aufgabe und Funktion misszuverstehen.
Dies gilt für alle Wissenschaften vom Menschen.
So ist das.
Sollte man in Stein meißeln.
Freundlichen Gruß,
Otto
Ja, so ist das eben, exakt mein Wissenstand der (ein,
unabhänderliches) Differenzial zum Gegebenen, der Physik, ist.
Heinz Blüml
2009-02-15 10:02:50 UTC
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On 15 Feb 2009 08:49:15 GMT, Heinz Schusterhennes
Post by Heinz Schusterhennes
Post by Marve Enberg
Eine histroische Tatsache ist eine, aus der sich eine Prognose ableiten
laesst. Etwa sage ich, indem ich noch nie in meinem Leben in Aachen war,
voraus, und dies aufgrund meine historischen Kenntnisse, dort auf die
Pfalzkapelle Karls des Grossen zu stossen. Wuerde sich herausstellen,
bei meinem ersten Aachenbesuch, dass es dort keinen Dom gibt, muesste
ich mein Geschichtsbild revidieren...
Diese Definition mag für eine Teilmenge "historischer Tatsachen"
zutreffen, die sich in dieser Weise verifizieren lassen. Für den
überwiegenden Teil der "historischen Tatsachen" dürfte dieser Zugang aber
verschlossen sein - solange zumindest, bis eine Zeitmaschine erfunden
wurde, mit dem man in die Vergangenheit reisen kann.
Ich meine, auch das würde dir nicht helfen.
Wie "ist die Gegenwart"?
Menist du, darauf eine wirklich fundierte Antwort geben zu können?
Auch wenndir alle Informationen zur Verfügung stehen, du jegliche
Reisefreiheit und Möglichkeit hast, alle Zeitungen, alle
relevantenSchriften und alle "Experten"?
Es wird immer eine Sichtweise bleiben, deine nämlich.
Und andere Menschen werden eine andere haben.

Meine Sichtweise der Gegenwart ist zB die, das wir in einer so üblen
Diktatur leben, wie noch keine Gesellschaft vor uns (und darüber
glücklich sind, wie keine versklavte Gesellschaft vor uns.)

h
Martin Funder
2009-02-15 08:56:25 UTC
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Post by Marve Enberg
Eine histroische Tatsache ist eine, aus der sich eine Prognose ableiten
laesst. Etwa sage ich, indem ich noch nie in meinem Leben in Aachen war,
voraus, und dies aufgrund meine historischen Kenntnisse, dort auf die
Pfalzkapelle Karls des Grossen zu stossen.
Das ist einfach Ortskenntnis und nicht historische Tatsache.

Wuerde sich herausstellen, bei
Post by Marve Enberg
meinem ersten Aachenbesuch, dass es dort keinen Dom gibt, muesste ich mein
Geschichtsbild revidieren...
Wenn man bei allenden fehlenden Zeugen historischer Geschehnisse das
Geschichtsbild revidiert, dann unterschlägt man einfach die Bedeutung
aktueller Ereignisse.
Marve Enberg
2009-02-15 09:29:27 UTC
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Post by Martin Funder
Das ist einfach Ortskenntnis und nicht historische Tatsache.
...Ortskenntnis geht auf Erfahrung zurueck - ist insofern historisch.
Post by Martin Funder
Wenn man bei allen den fehlenden Zeugen historischer Geschehnisse das
Geschichtsbild revidiert, dann unterschlägt man einfach die Bedeutung
aktueller Ereignisse.
...aktuelle Ergeignisse koennen aber nicht ohne ihre Vor g e s c h i c h t e
begriffen werden, oder?
Martin Funder
2009-02-15 09:40:48 UTC
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Post by Marve Enberg
Post by Martin Funder
Das ist einfach Ortskenntnis und nicht historische Tatsache.
...Ortskenntnis geht auf Erfahrung zurueck - ist insofern historisch.
Jede Kenntnis geht auf Erfahrung zurück. Aber "Jeder beliebige Kenntnis
ist eine historische Tatsache" ist offensichtlicher Unsinn.
Post by Marve Enberg
Post by Martin Funder
Wenn man bei allen den fehlenden Zeugen historischer Geschehnisse das
Geschichtsbild revidiert, dann unterschlägt man einfach die Bedeutung
aktueller Ereignisse.
...aktuelle Ergeignisse koennen aber nicht ohne ihre Vor g e s c h i c h t e
begriffen werden, oder?
Um zu sehen, ob in Aachen ein Dom steht, muss ich nicht dessen
Vorgeschichte begreifen. Und du hattest nur die Existenz als Argument
für eine historische Tatsache angeführt.
Marve Enberg
2009-02-15 10:05:07 UTC
Permalink
Post by Martin Funder
Jede Kenntnis geht auf Erfahrung zurück. Aber "Jeder beliebige Kenntnis
ist eine historische Tatsache" ist offensichtlicher Unsinn.
...jede geauesserte Erkenntnis ist, indem sie in Raum und Zeit statt hat,
eine historische Tatsache. Nun muss nicht alles Erkannte geaeussert werden,
aber - um Sinn zu haben - auesserbar sein, wodurch es immer auch historisch
ist.
Post by Martin Funder
Post by Marve Enberg
Post by Martin Funder
Wenn man bei allen den fehlenden Zeugen historischer Geschehnisse das
Geschichtsbild revidiert, dann unterschlägt man einfach die Bedeutung
aktueller Ereignisse.
...aktuelle Ergeignisse koennen aber nicht ohne ihre Vor g e s c h i c h t e
begriffen werden, oder?
Um zu sehen, ob in Aachen ein Dom steht, muss ich nicht dessen
Vorgeschichte begreifen. Und du hattest nur die Existenz als Argument
für eine historische Tatsache angeführt.
...es waere allerdings bereits unmoeglich, den Begriff "Dom" sinnvoll im
Gemuet zu haben, ohne historisches Verstaendnis.
Martin Funder
2009-02-15 10:19:16 UTC
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Post by Marve Enberg
Post by Martin Funder
Jede Kenntnis geht auf Erfahrung zurück. Aber "Jeder beliebige Kenntnis
ist eine historische Tatsache" ist offensichtlicher Unsinn.
...jede geauesserte Erkenntnis ist, indem sie in Raum und Zeit statt hat,
eine historische Tatsache. Nun muss nicht alles Erkannte geaeussert werden,
aber - um Sinn zu haben - auesserbar sein, wodurch es immer auch historisch
ist.
Wenn jede Kenntnis immer "historisch" ist, kann ich den Begriff aus
Gründen der Effektivität auch weglassen. "Historische Kenntnis" ist dann
trivial das gleiche wie "Kenntnis".
Post by Marve Enberg
Post by Martin Funder
Post by Marve Enberg
Post by Martin Funder
Wenn man bei allen den fehlenden Zeugen historischer Geschehnisse das
Geschichtsbild revidiert, dann unterschlägt man einfach die Bedeutung
aktueller Ereignisse.
...aktuelle Ergeignisse koennen aber nicht ohne ihre Vor g e s c h i c h t e
begriffen werden, oder?
Um zu sehen, ob in Aachen ein Dom steht, muss ich nicht dessen
Vorgeschichte begreifen. Und du hattest nur die Existenz als Argument
für eine historische Tatsache angeführt.
...es waere allerdings bereits unmoeglich, den Begriff "Dom" sinnvoll im
Gemuet zu haben, ohne historisches Verstaendnis.
Natürlich kann man. Es geht z.B. über den architektonischen Aufbau.
Marve Enberg
2009-02-15 10:40:15 UTC
Permalink
Post by Martin Funder
Wenn jede Kenntnis immer "historisch" ist, kann ich den Begriff aus
Gründen der Effektivität auch weglassen. "Historische Kenntnis" ist dann
trivial das gleiche wie "Kenntnis".
...das Bewusstsein ist freilich ein historisches (eine Funktion seiner/der
Geschichte), ob es diese nun betrachtet oder nicht. Man muss aber
unterscheiden koennen, ob es z.B. die Zukunft oder die Vergangenheit
betrachtet; nur im letzten Fall ist seine Gegenstand & was es davon weiss
"historische Kenntnis"
Post by Martin Funder
Post by Marve Enberg
Post by Martin Funder
Post by Marve Enberg
Post by Martin Funder
Wenn man bei allen den fehlenden Zeugen historischer Geschehnisse das
Geschichtsbild revidiert, dann unterschlägt man einfach die Bedeutung
aktueller Ereignisse.
...aktuelle Ergeignisse koennen aber nicht ohne ihre Vor g e s c h i c
h
t e
begriffen werden, oder?
Um zu sehen, ob in Aachen ein Dom steht, muss ich nicht dessen
Vorgeschichte begreifen. Und du hattest nur die Existenz als Argument
für eine historische Tatsache angeführt.
...es waere allerdings bereits unmoeglich, den Begriff "Dom" sinnvoll im
Gemuet zu haben, ohne historisches Verstaendnis.
Natürlich kann man. Es geht z.B. über den architektonischen Aufbau.
...es waere schon sehr konstruiert, anzunehmen, dass das Wissen, dass Dome
z.B. heute nicht mehr gebaut werden, sondern in der Vergangenheit
entstanden, ausfaellt.
Heinz Blüml
2009-02-15 09:58:08 UTC
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Post by Marve Enberg
Eine histroische Tatsache ist eine, aus der sich eine Prognose ableiten
laesst. Etwa sage ich, indem ich noch nie in meinem Leben in Aachen war,
voraus, und dies aufgrund meine historischen Kenntnisse, dort auf die
Pfalzkapelle Karls des Grossen zu stossen. Wuerde sich herausstellen, bei
meinem ersten Aachenbesuch, dass es dort keinen Dom gibt, muesste ich mein
Geschichtsbild revidieren...
du müßtest vermutlich revidieren, dass Karl der Große irgendwas damit
zu tun hatte;)

h
Anonym
2009-02-16 17:33:11 UTC
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Post by Heinz Schusterhennes
Die Geschichte ist ein breiter Strom von Ereignissen.
Historiker nehmen diese Ereignisse, um Geschichten zu erzählen. Das ist
ihr Job, sonst nichts.
Sie wählen aus dem bereiten Strom der Ereignisse einzelne aus, gewichten
sie, ordnen sie, stellen sie in einen Kontext - und zwar gemäß dem Plot
und der Intention ihrer jeweiligen Story.
Es gibt "die" historische Tatsache also gar nicht. Tatsachen sind in der
Geschichtswissenschaft immer Deutungen im Sinne eines erzählerischen
Anliegens.
Im Übrigen verhalten sich Menschen im Allgemeinen so wie Historiker. Auch
sie erzählen fortwährend Geschichten. Mit diesen Geschichten versuchen
sie, ihrem Leben einen Sinn zu geben und ihre Identität, ihr Selbst zu
bestimmen - und dies stets im Hinblick auf moralische Maßstäbe. Moralität
ist hier im weiteren Sinne gemeint, in den Worten Charles Taylors: Nicht
nur im Sinne des richtigen Handelns, sondern des guten Lebens.
Nimmt man nun das Allgemeinmenschliche und das Historiker-Spezifische
zusammen, so ergibt sich, dass "historische Tatsachen" stets
identitätsstiftende Deutungen sind. Der Historiker ist ein kollektiver
Identitätsstifter, der den Strom der Ereignisse im Sinne seiner Gruppe
(Partei, Nation etc.) interpretiert.
Die Rede, dass Geschichtsschreibung immer die Geschichtsschreibung der
Sieger sei, greift sicher zu kurz - dass aber im Großen und Ganzen die
"historischen Tatsachen" die Position des Siegers in ein vorteilhafteres
(auch und vor allem moralisch vorteilhafteres) Licht tauchen als jene des
Verlierers, dürfte angesichts der allgemeinmenschlichen Tendenzen des
Geschichtenerzählens wohl evident sein.
Gruß
Heinz
PS: Ja, selbstverständlich, Diese Überlegungen gelten ausnahmslos für /
jede/ "historische Tatsache".
PPS: Diktaturen neigen dazu, ihre Geschichtsschreibung für sakrosankt zu
erklären. Wer von der offiziellen Version abweicht, diese auch zur
bezweifelt, läuft Gefahr, ins Gefängnis geworfen oder gar mit dem Tode
bestraft zu werden.
Eine historische Tatsache ist alles was entstanden und vergangen ist...
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